Auf der Jägerwiese oberhalb von Sievering liegt am Abhang
des Hermannskogels das Agnes- oder Jungfernbründl. An Sonn-
und Feiertagen, besonders aber am Johannistag, am Karfreitag
und am Dreikönigstag, wird es von vielen Leuten aufgesucht
und förmlich belagert.
Geht man zu Mittag oder zu Mitternacht zum Bründl, so soll
dies die günstigste Zeit sein. Es gibt sogar Leute, die im
Wald übernachten und mit einer geweihten brennenden Kerze
drinnen umhergehen. Wenn sie dann müde sind, so machen sie
mit geweihter Kreide einen Kreis und legen sich darinnen auf
die Erde nieder. Sie glauben, dass sie dadurch vor den
Geistern geschützt seien, die sich in der Gegend dort
aufhalten.
Auch am Tage geht es in der Nähe des Bründls oft
geheimnisvoll zu. Da gibt es eine Menge Leute, die um eine
"Prophetin" herumstehen, um zu erfahren, wie sie sich zu
verhalten haben, wenn ihnen der Karl oder die Agnes
erscheint, welche Nummern sie in die Lotterie setzen sollen,
was ihnen die Zukunft bringen werde und dergleichen. Andre
wieder kaufen Glücksnummern und Heilmittel, doch wirken
diese nur dann, wenn man fest an ihre Heilkraft glaubt.
Beim Bründl selbst hängen Bilder an den Bäumen, Weiber
blättern in "Planetenbüchern", und ringsherum stehen Tische
mit Würfeln, die zum Glücksspiel einladen. Nach der Zahl der
"Augen", die beim Wurfe fallen, wird die Zukunft des
Spielers vorausgesagt.
Andre Leute drängen sich zum Bründl hin und schauen mit der
größten Neugierde und Erwartung ins Wasser. Sie hoffen,
darin Nummern zu entdecken, die sie in die Lotterie setzen
könnten.
Hat eines von ihnen eine solche Nummer entdeckt, wie sie der
Schlamm oder die Steine auf dem Grunde bilden, so wäscht es
sich mit dem Wasser die Augen und schreibt die Ziffern auf.
Kartenaufschlägerinnen; meistens alte Frauen, die in den
Planetenbüchern lesen, fragen jeden, an welchem Tag und in
welchem Monat er geboren ist, und prophezeien ihm dann die
Zukunft. Andre Weiblein erzählen geheimnisvoll von dem
grünen Tor, das unter dem Bründl zum Kristallpalast führe,
es können aber, so sagen sie, nur solche Leute den Eingang
finden, die an die wunderbare Wirkung des Bründls glauben.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 76. Bilder: www.nikles.net
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Günter Nikles
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