Zur Zeit der Maria Theresia lebte in der Rofranogasse in
der Josefstadt in Wien ein Goldschmied namens Josef Straßer.
In dem Fenster seines kleinen Gewölbes sah man aber kein
goldenes Geschmeide, sondern allerlei weiße, grüne und gelbe
Glasstücke, als dürfte hier ein Glaser und nicht ein
Goldschmied wohnen. Straßer beschäftigte sich nämlich auch
mit der Goldmacherkunst oder der Alchimie, wie man diese
auch nennt, und durch seine verschiedenen Versuche lernte er
allerlei glasartige Steine zu erzeugen. Aus diesen schliff
er hellglänzende und feuerfunkelnde Steine, die den
kostbarsten Brillanten ungemein ähnlich sahen. Aber wer
sollte denn solche Geschmeide in einem so entlegenen
Gässchen Wiens suchen, und so blieb unser Goldschmied ein
kleiner Geschäftsmann, dessen Frau und die zwei Töchter
rührig mithelfen mussten, um die kleine Wirtschaft in
halbwegs gutem Gang halten zu können.
"Wenn nur die reichen Leute wüssten, was für schöne Steine
du machen kannst", sagte einst Frau Straßer zu ihrem Manne,
?du würdest schon gute Geschäfte mit ihnen machen." "Ja, ja,
wenn sie es nur wüssten", antwortete der Mann, "wie man das
zuwege bringt, das weiß ich nicht." "Aber ich", mischte sich
eine der Töchter ins Gespräch. "Führe uns, lieber Vater,
alle drei auf den nächsten Ball in die Mehlgrube, dorthin
kommen sehr reiche und vornehme Leute; was wir vom Schmuck
aus deinen Steinen nur auf uns bringen können, hängen wir
uns an; das Aufsehen sollst du erleben, das wir da machen
werden!" Die Frau und die zweite Tochter fanden diesen
Vorschlag ganz ausgezeichnet. Der Vater wollte sich ihn erst
überlegen. Aber Frau und Kinder ließen ihm nicht viel Zeit
zum Überlegen; sie brachten ihn mit Schmeicheln und
Überreden gar bald dazu, dass der Ball in der Mehlgrube am
Neuen Markt schon die nächste Woche besucht werden sollte.
Und so kam der heißersehnte Abend. Mutter und Töchter
putzten sich, so gut es ging, recht ballmäßig auf. In ihren
Ohrgehängen blitzten funkelnde Steine, um ihren Hals hatten
sie goldene Kettlein, und an jedem derselben hing vorne ein
Kreuz, in welchem die Steine glänzten, als ob sie Diamanten
wären. Auch der Vater hatte Ringe an den Fingern mit
zierlich eingefügten Steinen. Bald nach ihrem Eintreten in
den hell erleuchteten Ballsaal waren die vier Personen der
Gegenstand des Aufsehens und der Bewunderung. Man sah ihnen
an, dass es doch einfache Bürgersleute waren, wie kamen
diese zu einem kostbaren Brillantenschmuck? Die Ballgäste
zischelten sich allerlei in die Ohren, Gruppen bildeten
sich, und mit einer gewissen Geflissenheit ging man der
Goldschmiedfamilie aus dem Wege. Da trat plötzlich ein Herr
an den Goldschmied heran, stellte sich ihm als
Polizeikommissar vor und befahl ihm, mitzugehen. Er führte
ihn in eines der nebenstehenden Zimmer und sagte zu dem tief
erschrockenen Straßer, dass er ihn im Namen des Gesetzes
verhafte, denn er müsse sich ausweisen, woher der kostbare
Schmuck sei, den die drei Frauen hätten, mit denen er auf
den Ball gekommen wäre. Da half kein Reden, Bitten und
Schelten des Goldschmiedes, er wurde in einen Wagen gebracht
und in ein Polizeigefängnis geführt. Der Frau und den
Töchtern wurde der Schmuck abgenommen, und barsch wurde
ihnen bedeutet, man müsse nachforschen, woher sie einen
solchen kostbaren Schmuck hätten.
An die Stelle heiteren Frohsinns war nun Entsetzen und
Jammer getreten; der Vater eingesperrt, Mutter und Töchter
als Diebinnen gebrandmarkt. Du lieber Gott, das war ein
schreckliches Ende eines lustigen Balles. Völlig in Tränen
aufgelöst kamen die drei unglücklichen Geschöpfe in ihre
bescheidene Wohnung. Den nächsten Tag sprach man in ganz
Wien von den! Goldschmied Straßer, der sich auf unredliche
Weise in den Besitz so kostbaren Schmuckes gesetzt, und
wahre Schaudermärchen waren bald über die unglückselige
Familie erfunden.
Als sich die Frau des Goldschmiedes etwas beruhigt hatte und
zu einiger Überlegung kam, wurde es ihr immer mehr und mehr
klar, dass diese ganze Geschichte kein so böses Ende nehmen
könne, denn ihr Mann werde ja nachweisen, dass er die Steine
selbst gemacht und dass sie also nicht fremdes Eigentum
seien. Während sie nun da saß und ihre verzweifelten Töchter
tröstete, klopfte es an die Tür und ein Mann trat herein. Es
war ein noch junger, vornehmer Herr, welcher sagte, er
möchte den schönen, großen, grünen Stein, der da in dem
Fenster liege, gerne kaufen, und was dieser koste.
Die Frau teilte ihm nun mit, ihr Mann sei nicht zu Hause und
käme erst nach einigen Tagen, vielleicht käme der Herr noch
einmal, damit er mit ihm sprechen könne. Damit war dieser
zufrieden und entfernte sich.
So vergingen mehrere Tage in banger Erwartung, was da noch
alles kommen werde.
Endlich, o du helle Freude, kam auch der hartgeprüfte Vater.
Sein Auge leuchtete vor Glück, er umarmte Mutter und Töchter
und konnte sich nicht fassen. So viel hatte er ihnen zu
erzählen. "Bei der Kaiserin war ich und bei dem Kaiser,
denkt euch nur, liebe Kinder, mein Glück ist gemacht. Bei
der Polizei wurde ich peinlich ausgefragt, woher ich diesen
Schmuck habe, und als ich erzählte, dass ich jeden
Augenblick solchen Schmuck machen könne, so ließ man über
mich Nachfrage halten und überzeugte sich von der Wahrheit
dessen, was ich sagte. Da aber die Kaiserin Maria Theresia
auch von unserem Abenteuer in der Mehlgrube hörte, so ließ
mich die grundgütige Frau zu sich in die Burg kommen,
stellte mich auch ihrem Gemahl, dem Kaiser Franz, vor, und
sagte mir, meine Steine seien wirklich sehr schön, und ich
solle sie nur nach Brüssel schicken und nach Paris, und da
werde ich gute Geschäfte machen, sie werde mir auch dazu
helfen. Auch der Kaiser, der ja selbst ein geschickter
Alchimist war, erkundigte sich, wie ich solche Steine zuwege
bringe, und er war sehr, sehr freundlich mit mir. Oh, wie
bin ich glücklich, dass ich wieder bei euch bin."
In diesem Augenblick klopfte es wieder an die Tür, und der
Herr, der vor einigen Tagen den großen, grünen Stein kaufen
wollte, war eingetreten. Er stellte sich dem erstaunten
Goldschmied als der englische Optiker Dollond vor und
ersuchte ihn, ihm den grünen Stein zu zeigen, da er ihn
kaufen wolle. Der Goldschmied legte gar keinen besonderen
Wert auf diesen Stein und meinte, er könne ihm denselben
billig verkaufen. Je mehr der Optiker den Stein betrachtete,
desto mehr fand er Gefallen an demselben, und endlich sagte
er: "Mein lieber Goldschmied, dieser Stein ist für mich von
großem Werte, ich brauche ihn, um Gläser zu einem
achromatischen Fernrohr aus ihm zu machen, das der
Wissenschaft großen Nutzen und uns viel Geld eintragen
wird." Der arme Goldschmied sah dem fremden Manne fast
ungläubig ins Gesicht, das Glück schien ihm fast eine
Zauberei. "Woraus ist denn dieser Stein gemacht?" fragte der
Optiker. "Es ist eine Mischung aus Flint- und Kronglas,
leicht und billig herzustellen", antwortete Straßer.
Herr Dollond bezahlte den Stein sehr gut, verabredete mit
dem Goldschmied auch innige Geschäftsfreundschaft, entfernte
sich dann, kam aber bald wieder, und kam dann oft. Eines der
Goldschmiedstöchterlein hatte dem neuen Geschäftsfreunde
Straßers so gut gefallen, dass er die Eltern bat, ihn zum
Schwiegersöhne zu machen Die Tochter war glücklich, und die
Eltern waren zufrieden. Die Tochter zog mit ihrem Manne nach
England, und die falschen Edelsteine Straßers gingen in die
weite Welt hinaus.
Quelle: Holczabek/Winter, Sagen und Geschichten der
Stadt Wien. Zweites Bändchen. Wien 1901.
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Günter Nikles
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