1.
Als Wien noch ein kleines Städtchen war, standen außerhalb
der Stadtmauer an der Donau kleine Fischerhütten. Darin
lebten arme Fischer, die den ganzen Tag und oft auch in der
Nacht auf dem Wasser waren. Die Fische verkauften sie in der
Stadt und fingen dann wieder neue, die sie wieder
verkauften. Es war ein hartes Leben, das die Fischer
führten; das Geld reichte oft kaum für Brot und es gab
Fischer, die hatten seit Jahren nichts anderes gegessen als
Fische.
In einer solchen Hütte wohnte ein alter Fischer mit seinem
Sohn. Sie hatten im Sommer fleißig gefischt und sich dabei
so viel verdient, dass sie im Winter nicht verhungern
mussten. Es war an einem kalten Wintertag. Die
Donau war so
fest zugefroren, dass man mit einem Wagen darüber fahren
konnte. Vater und Sohn saßen beisammen und besserten die
alten Netze aus, mit denen sie im Frühjahr wieder fischen
wollten.
Das Fenster war mit Brettern verschlagen; in der Mitte war
ein handgroßes Loch ausgeschnitten, durch welches das Licht
in das Zimmer fiel. Durch das Loch drang aber auch die
eisige Winterkälte; es wurde darum nicht recht warm im
Zimmer, trotzdem der alte Fischer ein Scheit ums andere in
den riesigen Kachelofen schob.
Da verstopften die beiden die Löcher in den Fensterläden mit
Tüchern und setzten sich ganz nahe ans Feuer. Jetzt wurde es
behaglich warm im Zimmer und der Alte begann zu erzählen:
"Am Grunde der Donau steht ein Schloss, das ist ganz aus
Glas gemacht. Drin wohnt der Donaufürst mit seiner Frau und
seinen Kindern, den Nixen. In den Zimmern des Schlosses sind
große Tische, darauf stehen umgestürzte irdene Töpfe; da
werden die Seelen der Ertrunkenen gefangen gehalten. In
hellen Mondnächten geht der Nix oft als Jäger verkleidet am
Donauufer spazieren, man darf ihn aber nicht ansprechen,
sonst wird man von ihm in die Tiefe gezogen.
Die Wassernixen sind kleine zierliche Mädchen, die haben
duftige weiße Kleider an. Diese Nixen tauchen plötzlich aus
dem Wasser empor und singen so schön, dass man sich an dem
Gesange gar nicht satt hören kann. Manche Fischer sind schon
ertrunken, weil sie dem Gesange zu lange gelauscht haben.
Die Nixen schwimmen dann immer weiter in den Strom hinaus,
die Männer fahren ihnen nach und kommen nicht mehr zurück.
Im vorigen Jahr sind zwei Fischer so weit hinausgelockt
worden, dass wir ihnen nicht mehr helfen konnten. Wir haben
ihre Hilferufe gehört; als wir an die Stelle kamen, schwamm
das Boot allein auf dem Wasser. Die Nixen kommen auch zum
Tanz in die Wirtshäuser und tanzen mit den Burschen die
ganze Nacht.
Da haben sie keine weißen Kleider an, sondern sehen aus wie
die anderen Mädchen. Man erkennt sie nur an dem nassen Saum
ihrer Kleider. Wenn die Hähne zum ersten Male krähen, laufen
sie schnell davon und verschwinden in der
Donau.
Ihr Vater, der Donaufürst, darf es nicht wissen, dass sie
bei den Menschen oben sind. Darum laufen sie in der Früh so
schnell nach Hause. Wenn dann der Vater wach wird, liegen
sie schon in den Betten und schlafen. Wenn sie sich aber
verspäten und der Vater ist schon aufgestanden, dann
bekommen sie Schläge; und wenn sie sehr spät nach Hause
kommen, dann schlägt sie ihr Vater gleich tot. An dem Wasser
kann man leicht erkennen, welche Strafe die Nixen bekommen
haben; ist das Wasser der Donau in der Frühe trüb, dann
haben die Nixen Schläge bekommen; ist es aber blutigrot,
dann sind die Nixen schon tot."
2.
So erzählte der alte Fischer. Das Feuer war ausgegangen; es
war kalt und dunkel im Zimmer geworden. Der Sohn sagte:
Ich habe noch nie eine Nixe gesehen und kann gar nicht
glauben, dass in der Donau Nixen sind!
Kaum hatte er diese Worte gesagt, so wurde es hell im
Zimmer. Als sich die beiden umdrehten, sahen sie ein Mädchen
in wallenden weißen Kleidern und mit weißen Wasserlilien in
den schwarzen Haaren. Vater und Sohn wichen erschrocken zur
Tür zurück. Da sprach die Erscheinung:
"Fürchtet euch nicht, ich tu euch nichts ! Ich komme nur, um
euch zu warnen. In den nächsten Tagen wird Tauwetter
eintreten, das Eis der Donau wird krachen und in Stücke
gehen. Das Wasser wird über die Ufer treten und wird alles
überschwemmen. Da, wo jetzt eure Hütten stehen, wird lauter
Wasser sein. Rettet euch schnell, verlasset den gefährlichen
Ort, sonst seid ihr alle des Todes !"
Bevor die beiden Fischer ein Wort sagen konnten, war die
Nixe verschwunden und es war wieder finster im Zimmer.
"Das war das Donauweibchen !" sagte der Vater.
"Es hat aber nicht gesungen", meinte der Sohn, "und sie hat
uns auch nichts getan. Ich habe geglaubt, die Nixen wollen
die Menschen töten !"
Da antwortete der Vater: "Das Donauweibchen ist keine böse
Nixe. Man sagt, dass sie guten Menschen erscheint, bevor ein
Unglück geschieht. Jetzt komme, wir müssen die Nachbarn
wecken und müssen ihnen alles sagen !"
Sie machten die Tür der Hütte auf; ein eisiger Sturm trieb
den Schnee in das Zimmer. Die beiden Fischer kämpften gegen
den Schneesturm und erreichten nur mit Mühe die
Nachbarhütten. Sie wurden überall freundlich empfangen und
die Fischer sagten:
"Ja, das war das Donauweibchen. Wir müssen fortziehen, sonst
müssen wir ertrinken."
Sie packten ihre Habe zusammen, verluden sie auf Karren und
zogen weiter ins Land hinein.
Nach wenigen Tagen brach das Eis und das Wasser trat aus den
Ufern. Da, wo bisher die Auen gewesen waren, war jetzt ein
ungeheurer See und nur die Rauchfänge der Fischerhütten
ragten aus dem Wasser hervor.
Nach einiger Zeit ging das Wasser zurück und floss wieder im
alten Donaubette.
Es kam der Frühling, die Auen wurden wieder grün und die
Bäume bekamen frisches Laub. Da kamen auch die Fischer
zurück und bezogen ihre Wohnungen. Manche Hütten waren vom
Wasser weggeschwemmt worden. Da halfen alle Fischer zusammen
und bauten ihren Kameraden neue Hütten.
Es dauerte nicht lange, waren alle Hütten neu hergerichtet,
die Fischer fuhren wieder auf die Donau hinaus und fingen
Fische wie früher. Der junge Fischer aber war ganz
verändert; er saß oft träumerisch in seinem Boot und sah auf
die sonnenglänzende Donau hinaus. Wenn sein Vater fragte,
warum er nicht fische, da zuckte er zusammen und warf
schnell das Netz aus. Er vergaß aber, es einzuziehen und sah
wieder träumerisch vor sich hin. Da wurde der Vater traurig.
Er fürchtete, dass ihn das Donauweibchen verzaubert habe.
Eines Tages fuhr der Sohn weit in den Donaustrom hinaus,
legte die Ruder weg und ließ sich vom Wasser treiben. Der
Vater sah, wie sich sein Sohn immer weiter entfernte. Er
rief ihn, doch sein Sohn hörte ihn nicht. Am Abend wartete
der Vater mit banger Sorge auf die Heimkehr seines Sohnes.
Es war schon dunkel und er kam nicht. Es wurde Nacht und er
war noch immer nicht da. Die ganze Nacht wartete der alte
Fischer auf seinen Sohn.
Am andern Morgen sahen einige Fischer ein Boot herrenlos auf
der Donau herumtreiben. Sie ruderten hin und erkannten es
als das Boot des jungen Fischers. Sie meldeten es dem Vater.
Der schlug die Hände vors Gesicht und sagte leise:
"Ich hab es schon lange gefürchtet. Die Nixen haben ihn geholt."
Das Donauweibchen hat seither niemand mehr gesehen.
Quelle: Wiener Sagen, herausgegeben von der Wiener Pädagogischen Gesellschaft, Wien 1922, Seite 25. Bilder: www.nikles.net
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Günter Nikles
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