Es war im Jahre 1683, als die herrliche Stadt Wien zum
zweitenmal von den Türken belagert wurde. Die Bedrängnis war
hart; wenn sich auch die Wiener unter der Leitung des
tapferen Stadtkommandanten Grafen Ernst Rüdiger von
Starhemberg mit einem Heldenmute und einer Aufopferung
verteidigten, welche den glänzendsten Beispielen des
römischen Altertums an die Seite zu stellen sind, sah man
doch, der ungeheuren Übermacht gegenüber, ohne Hilfe von
außen her, das schreckliche Ende voraus. Es lag nun daran,
dem die kaiserliche Armee kommandierenden Herzoge Karl von
Lothringen von den traurigen Verhältnissen Kunde zu geben,
daher man Boten nach allen Richtungen aussendete, welche
aber von den Türken aufgefangen und zur Warnung für die
Belagerten nahe bei den Stadttoren aufgeknüpft wurden.
Täglich mehrten sich die Drangsale, die kaiserliche Armee
stand nahe bei Wien, doch konnte man ihr keine Nachricht von
der verzweiflungsvollen Lage geben, niemand wollte das
Wagestück unternehmen.
Damals lebte in Wien Georg Franz Kolschitzky, geboren zu
Sombor in Polen, ein Mann von dreiundvierzig Jahren, welcher
Handelsmann in der Leopoldstadt war und bei der Belagerung
sich unter die Freikompanie des Hauptmanns Frank, welche
größtenteils aus Gastwirten bestand, hatte anwerben lassen.
Dieser Mann, der früher Dolmetsch bei der orientalischen
Kompanie gewesen, Reisen nach der Türkei gemacht, längere
Zeit in Belgrad gelebt hatte, daher mit der Sprache und den
Sitten der Türkei sehr vertraut war, erbot sich zur
Übernahme der Botenrolle.
Und welche Belohnung beansprucht Ihr dafür?" fragte ihn
Starhemberg.
"Keine", erwiderte der Edelsinnige. "Es verdienen der
Heldenmut und die Biederkeit der braven Wiener, dass man
ihnen schon den kleinen Dienst leistet. Zudem habe ich keine
Angst vor dem Tode. Hängen können mich die Türken nur
einmal. Tun sie das - wogegen ich mich indes wohl bewahren
will -, so bitte ich um eine Seelenmesse für mich und meinen
treuen Diener, der mich begleiten wird."
In der stürmischen Nacht vom 13. auf den 14. August
schlichen sich Kolschitzky und sein Diener Michaelowitz, der
ebenfalls Sprache und Sitten der Türken vollständig kannte,
als Türken verkleidet durch das Ausfallpförtchen beim
Schottentor aus der Stadt ins feindliche Lager. Am nächsten
Tage wurden sie angehalten und vor einen Aga geführt.
Mit größter Unbefangenheit erzählte Kolschitzky diesem, er
sei ein Belgrader Kaufmann, der mit seinem Diener dem
türkischen Heere gefolgt sei und sich damit befasse, den
Türken Lebensmittel aufzusuchen und zu liefern.
Der Aga, welcher sich täuschen ließ, bewirtete ihn und
entließ ihn sodann mit der wohlwollenden Warnung, er solle
sich nicht zu weit vorwagen, damit er den Christen nicht in
die Hände falle.
Indem der kühne Mann seinen Weg fortsetzte, kam er nach dem
Kahlenbergerdorf, von wo ihn dortige Insassen in einem
Nachen über die Donau auf das jenseitige Ufer brachten.
Drüben traf er alsbald das kaiserliche Lager und wurde zu
dem kommandierenden Herzog von Lothringen geführt, der die
Kolschitzky anvertrauten Briefe übernahm und ihm eine
schriftliche Antwort an den Grafen von Starhemberg mitgab.
Nachdem Kolschitzky und sein Diener wieder über die Donau
gesetzt, wandten sie sich entlang dem Wasser der Stadt zu,
wären aber bei dem herrschenden Regenwetter bald mitten
unter die türkischen Schildwachen geraten. Als sie diesen
glücklich entgangen waren, bargen sie sich im Keller eines
kleinen abgebrannten Hauses in der Roßau, wo sie die Nacht
zubrachten. Am folgenden Morgen des 17. August gelang es
ihnen, sich bis zu den Palisaden vor der Stadt zu
schleichen, worauf sie beim Schottentor wieder Einlass
fanden.
Die trostreiche Kunde von baldigster Hilfe, welche
Kolschitzky vom kaiserlichen Kommandanten mitbrachte,
erzeugte in dem bedrängten Wien eine hoffnungsfreudige
Stimmung. Noch am selben Tage aber wurde dem Herzog die
Ankunft des glücklichen Boten gemeldet. Starhemberg ließ zu
diesem Zwecke um zwölf Uhr mittags auf dem Stephansturme
einen dicken, schwarzen Rauch machen, und als es dunkel
geworden, von derselben Stelle drei Raketen emporsteigen.
Gern hätte Kolschitzky noch mehrmals solche gefahrvolle
Sendungen übernommen, aber Verräterei hatte ihn den Türken
bereits auf das erkennbarste bezeichnet, er wäre verloren
gewesen, ohne der Stadt den mindesten Nutzen bringen zu
können. Seinem Diener gelang es jedoch, noch zweimal durch
das türkische Lager zu kommen und Nachricht in die Stadt
zurückzubringen. Endlich wurde Wien durch die
Entsatzschlacht am 12. September, in welcher das vereinte
Heer der Kaiserlichen, der Reichstruppen und der Polen einen
glänzenden Sieg erfocht, von der schrecklichen Belagerung
befreit. Die Türken ergriffen mit Zurücklassung ihres ganzen
Lagers die Flucht.
Graf Starhemberg dachte also gleich an die Belohnung des
biederen Mannes, ließ Kolschitzky rufen und erbot sich,
jeden Wunsch, den er äußern würde, zu erfüllen.
"Gnädigster Herr", sagte bescheiden Kolschitzky, "ich bin
durch mein Bewusstsein hinlänglich belohnt; indes wäre es
beleidigend für Eure Exzellenz wie für die braven Wiener,
wenn ich nicht eine mir angebotene Gnade mir erbitten
wollte, die dem gesamten österreichischen Lande Nutzen
bringen wird. Wissen Eure Exzellenz, dass im verlassenen
Türkenlager unter den zahllosen kostbaren Beutestücken auch
eine Anzahl Säcke mit kleinen grünen Körnern gefunden
wurde?"
"Das weiß ich, aber niemand kann darüber Aufschluss geben,
zu welchem Gebrauche selbe dienen mussten."
"Das will ich tun. Es war im Jahre 1285, als ein Derwisch
namens Hadschi Omer von einem Scheich [Oberhaupt eines
Landstriches] aus einem Kloster der Mokka verjagt, in der
Höhle eines benachbarten Berges Zuflucht suchte. Er fand
hier keine andere Nahrung als die Beeren des wildwachsenden
Strauches, Kahhva genannt, verzehrte sie erst roh, versuchte
aber, da ihm der Geschmack nicht besonders gefiel, sie zu
rösten, zu zerquetschen und in Wasser zu sieden, wodurch er
ein unendlich nahrhaftes und wohlschmeckendes Getränk
erhielt. Als seine Freunde ihn nach einigen Tagen aufsuchten
und fanden, waren auch sie überrascht und entzückt von dem
duftigen Geschmacke des neuen Getränkes und verbreiteten die
Kunde davon allerorten, worauf der Scheich den Versuch
anstellte, die Entdeckung für ein Zeichen des göttlichen
Schutzes hielt und den Derwisch wieder in sein Kloster
zurückführte. Die Kerne dieser Beeren nun sind jene grünen
Körner, welche zur Bereitung des Lieblingsgetränkes der
Türken dienen, mit ihm sollten auch die Europäer bekannt
werden. Wenn mir Eure Exzellenz aus der ganzen Beute diese
Säcke mit der Erlaubnis überlassen, daraus das köstliche
Getränk 'Kaffee' bereiten und öffentlich ausbieten zu
dürfen, werde ich diese Gnade als Belohnung meines kleinen
Dienstes dankbar annehmen."
"Herzlich gern sei Euch willfahrt. Man wird Euch den größten
Teil der Säcke ausliefern, und Ihr könnt damit machen, was
Ihr wollt. Übrigens kann ich Euch sagen, daß der Stadtrat
Euch ein Haus in der Leopoldstadt als Eigentum überlassen
wird."
Kolschitzky übernahm sogleich das Geschäft. Nachdem er lange
in den Straßen mit Kaffee hausieren gegangen (Tassen und
Kannen trug er dabei auf einem Brette), mietete er ein Lokal
im kleinen Bischofhof in der Kleinen Schulerstraße (jetzt
Domgasse), von da kam er auf die Brandstatt, und als dieses
Haus abgebrochen wurde, in das Schlossergässchen "Zur blauen
Flasche", endlich in die Domgasse (heute Nr. 6), wo er bis
zu seinem 1694 im 54. Lebensjahre erfolgten Tode blieb.
Das Schild "Zur blauen Flasche" hatte Kolschitzky damals
deshalb gewählt, weil ihm, als er bei der Verteidigung von
Wien auf dem Walle von einer Kugel gestreift wurde, sein
Bräutchen, die Tochter des Wundarztes und Hausbesitzers "im
Elend", Herrn Georg Mayer, eine Blechflasche von blauer
Farbe, mit köstlichem Balsam gefüllt, zur Benützung
geschenkt hatte. Dieses letztgenannte Lokal war auch das
berühmteste und das erste, welches zu einem ordentlichen
Kaffeehause eingerichtet wurde, daher es mit Recht als das
erste Kaffeehaus in Wien betrachtet wird. Es lag im
rückwärtigen Teile des Schlossergässchens und bildete den
hinteren Teil des Hauses "Zur blauen Flasche"
(Goldschmiedgasse).
Was das Innere dieses Kaffeeschankes betrifft, war dasselbe
eine niedere, ausgedehnte Halle. Im Hintergrunde prasselte
auf einem Herd ein gewaltiges Feuer, an welchem Kochtöpfe
und Kessel aller Größen standen, in denen der köstliche
Mokkatrank quirlte und qualmte. In der Mitte hingen von der
Decke herab zwei Laternen. Ringsherum an den Wänden liefen
roh gezimmerte hölzerne Bänke, auf denen die Gäste sich
beliebig lagerten; Tische gab es keine, die Schalen stellte
man entweder neben sich auf die Bank oder man hielt sie in
der Hand, was bei dem Umstande, dass dieselben so groß und
weit wie die gewöhnlichen Suppenschalen, dabei entweder aus
Holz oder Zinn waren, keine geringe Mühe kosteten. Der
mittlere Raum war frei für die sogenannten Stehgäste, welche
sich nicht niedersetzten, sondern stehend tranken.
Geraucht wurde im allgemeinen damals noch nicht. Man sah nur
den Kaffeeherrn Kolschitzky mit einem Tschibuk duftenden
Wolken echten Latakias ausströmen, wobei sich die Gäste an
der Kunstfertigkeit ergötzten, mit der er durch wechselnde
Bewegung seiner Zunge alle Arten Ringe, Figuren und so
weiter aus dem Rauche bildete, den er zu verschlucken, und
erst, nachdem er seine Schale Kaffee im Leibe hatte, wie ein
Schlot dampfend langsam auszulassen pflegte.
Was weiter den köstlichen Mokka betrifft, den Kolschitzky
seinen Gästen auftischte, möchte derselbe der heutigen
kaffeeschlürfenden Welt wie Höllengebräu schmecken, denn man
genoss ihn ohne allen Zucker (erst später versüßte man ihn
mit Sirup) und mit dem ganzen Satze, so dass der Löffel, wie
im Risotto, in der Mitte frei stecken bleiben konnte. Dieses
Speise, denn ein Getränk war sie füglich nicht zu nennen,
behagte anfangs den Wienern gar nicht, aber bald gewannen
sie dieselbe so lieb, daß sie ohne sie nicht leben konnten,
und Kolschitzkys Kaffeeschank vermochte all die Gäste nicht
zu fassen, welche sich den ganzen Tag herandrängten.
In den weiteren Jahren würde es kein Hausbesitzer der
glorreichen Stadt Wien verschmäht haben, den angesehenen
Mann als Eidam in die Arme zu schließen. Es gab aber auch
nicht so leicht einen aufmerksameren und freundlicheren Wirt
als den wackeren "Bruder Herz"; mit dieser Bezeichnung
nämlich hatte er die Gewohnheit, jedermann, dem er wohl
wollte, anzureden, man antwortete mit demselben Namen, und
so blieb ihm dieser im Munde des gemütlichen Wiener
Völkchens.
In Kolschitzkys Kaffeeschank einzutreten, verschmähte bei
jedesmaligem Ausgange nie der greise kaiserliche
Hofkriegsrats-Präsident, Feldmarschall Graf Ernst Rüdiger
Starhemberg, und derselbe plauderte gern mit seinem alten
Kriegsgefährten - wie er den Kaffeesieder stets huldreich zu
nennen beliebte - von den gemeinsam überstandenen Drangsalen
der türkischen Belagerung. Dessen Erscheinen war aber auch
stets ein Fest für "Bruder Herz", denn ihm dankte er nicht
nur seine glückliche Lage, sondern auch die Nachgiebigkeit
des Vaters seiner geliebten Frau, Maria Ursula, welcher
anfangs sich unnachsichtlich gegen diese Verbindung
gesträubt hatte. Ferner erhielt er manchmal den Besuch des
großen Prinzen Eugen von Savoyen, der ebenfalls gern über
die Belagerung Wiens mit ihm plauderte. Hatte der junge
Kriegsheld doch als neunzehnjähriger Oberleutnant sich beim
Entsatze dieser Stadt unter dem Prinzen von Lothringen die
ersten Sporen verdient.
Selbst der hochberühmte Kapuzinermönch Marc Avian (Sobieskis
Beichtvater), der den bekannten Segen über das Heer auf dem
Kahlenberge sprach, später Kaiser Leopolds Hofprediger in
Wien (gestorben 1699, im Alter von 68 Jahren), ging nie
vorbei, ohne über Kolschitzkys Haupt seine zitternde Hand
auszustrecken und ihn zu segnen. Man sollte daher glauben,
dass es dem ersten Kaffeesieder nicht darum zu tun gewesen
sei, diesen oder jenen seiner Gäste zu erhalten, er war aber
ein zu verständiger Geschäftsmann, um nicht auch den
geringsten Kunden zu ehren, und hatte er daher eben Seine
Exzellenz den Herrn Feldmarschall untertänigst empfangen, so
eilte er doch gleich wieder, wenn es etwa galt, dem Herrn
Augustin Leichnamschneider, Besitzer des Neubades in der
Nadlergasse, oder dem Wachskerzler Nikolaus Panfiol von
Kohlmarkte, zwei täglichen Gästen, die Schalen abzunehmen
oder neu zu füllen, ja es genierte ihn selbst nicht im
mindesten, dem halbbetrunken hereintaumelnden Volkssänger
Augustin aufmerksam zu Diensten zu stehen, denn in jener
Zeit war letzterer, als lebendige Zeitung, durchaus keine zu
verachtende Persönlichkeit.
Über Kolschitzkys hinterlassene Familie ist keine sichere
Nachricht auf unsere Zeit gekommen; man weiß nur, dass die
Erben das Kaffeehaus an den Donaustrand, neben der hölzernen
Schlagbrücke (heutige Ferdinandsbrücke) verlegten. (Delsenbach
hat uns in einer seiner vier höchst seltenen Totalansichten
von Wien die Abbildung desselben bis auf die heutige Zeit
bewahrt.)
Schließlich bemerken wir noch, dass das gleichzeitig gemalte
wohlgetroffene Porträt des ersten Kaffeesieders noch bis
heute von der Wiener Kaffeesieder-Genossenschaft sorgfältig
aufbewahrt wird. Er ist in der damaligen polnischen
Landestracht abgebildet, die er stets trug.
Im 4. Bezirke Wiens ist eine Gasse zu Ehren Kolschitzkys
nach ihm benannt, und an dem Eckhause dieser Gasse gegen die
Favoritenstraße seit 1885 sein schönes Standbild, welches
von dem Bildhauer Emanuel Radl ausgeführt wurde, angebracht.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 288. Bilder: Buchhändler unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 und gemeinfrei.
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