Der Gasthof "Zum schwarzen Adler" in der Nähe des Roten
Turmes zu Wien genoss vor etwa vierhundert Jahren den besten
Ruf. Der Wirt, Hans Wangler, tat aber auch alles, seine
Gäste zufrieden zu stellen. Speisen und Getränke ließen
keinen Wunsch offen, und die Bedienung wurde von seinem
einzigen Sohn Josef und von Marie, einer armen Verwandten
des Wirtes, einem hübschen, bescheidenen Mädchen, aufs beste
besorgt. So war es kein Wunder, dass es an Gästen niemals
mangelte und Reisende aus den fernsten Ländern hier
einkehrten. So klein der Wirt angefangen hatte, so
wohlhabend war er jetzt. Er sammelte aber auch die Pfennige,
und sobald ein Goldgulden beisammen war, lachte ihm das Herz
im Leibe. Seinen Sohn Josef dachte er durch eine gute Heirat
zu einem der reichsten Bürger Wiens zu machen. Dieser aber
wollte von einer solchen Ehe nichts wissen. Er hatte schon
lange sein Herz an die liebliche Marie verloren, und das
Mädchen war dem hübschen Jungen nicht minder zugetan. Sooft
der Vater auf eine reiche Heirat zu sprechen kam, machte der
Sohn Ausflüchte, bis er endlich keinen Ausweg mehr sah und
den Alten kurzerhand bat, ihm Marie zur Frau zu geben.
Da kam er nun aber schön an. Der Wirt geriet in hellen Zorn
und erklärte dem Jungen kurz und bündig, davon könne keine
Rede sein. Marie sei wohl ein tüchtiges Mädchen, aber arm
wie eine Kirchenmaus und käme deshalb als Schwiegertochter
nie und nimmer in Betracht. "Das ist mein letztes Wort",
schloss er zornig. "Du heiratest die Tochter des Wirtes 'Zur
grünen Weinrebe', die ist nicht übel und wird eine
angemessene Mitgift in die Ehe mitbringen. Marie aber wird
je eher, je lieber das Haus verlassen, damit endlich Ruhe
wird. Und nun kein Wort mehr über diese Angelegenheit!" Da
gab es nun freilich schmerzliche Mienen in dem sonst so
fröhlichen Wirtshaus. Mit Tränen in den Augen verrichtete
Marie ihre gewohnten Arbeiten und glaubte den Gedanken nicht
ertragen zu können, dass ihr Bleiben im Haus nur mehr von
kurzer Dauer sein solle.
Es war spät am Abend, die Gäste hatten das Wirtshaus schon
verlassen. Da betrat die Schankstube ein einfach gekleideter
Mann, der nicht gerade den Anschein erweckte, über einen
wohlgespickten Beutel zu verfügen. Ein armseliges Ränzlein,
das er über der Schulter trug, verstärkte noch den Eindruck
der Dürftigkeit, der von ihm ausging. Der Fremde setzte sich
an einen der Tische und sagte: "Bringt mir zu essen und
sorgt für ein gutes Bett."
Der Wirt, dem zahlungskräftige Gäste lieber waren als
zweifelhafte Gesellen - und für einen solchen hielt er den
späten Gast -, meinte misstrauisch:
"Was Ihr verlangt, ist vorhanden, es fragt sich nur noch,
könnt Ihr auch bezahlen?"
"Bezahlen?" erwiderte der Fremde. "Wer wird gleich vom
Bezahlen reden, wenn der berühmteste Arzt auf dem weiten
Erdenrund sein Haus betritt! Ich bin Theophrastus Bombastus
Paracelsus von Hohenheim, der Name sollte Euch genügen, mir
sogleich Euer ganzes Haus zur Verfügung zu stellen. Ich
komme aus Salzburg, um hier der leidenden Bevölkerung zu
helfen. Gebt mir also Essen und Nachtlager! Ich bin hungrig
und sehne mich nach Ruhe."
Nun aber wurde es dem Wirt zuviel. "Schert Euch zum Teufel,
wenn Ihr kein Geld habt!" rief er erbost. "Auf so
hochtrabende Reden halte ich nichts."
Da mischte sich Marie, der der späte Besucher leid tat, in
das Gespräch und sagte zum Wirt, sie wolle aus ihren kleinen
Ersparnissen die Zeche für den Fremden bezahlen, wenn er
kein Geld habe. Brummend fügte sich der Wirt und ließ dem
Gast Essen und Wein vorsetzen und eine bescheidene Kammer
für die Nacht anweisen.
Paracelsus wohnte nun schon einige Tage im "Schwarzen
Adler". Tagsüber schlenderte er in der Stadt umher, abends
ließ er sich's im Kreise rasch gefundener Freunde
wohlergehen und gab manchem Humpen die Ehre. Er traf keine
Anstalten, das Gasthaus zu verlassen oder seine schon
beträchtlich angeschwollene Rechnung zu bezahlen. Die Miene
des Wirtes, der um sein Geld zu fürchten begann, wurde immer
finsterer; seine schlechte Laune musste vor allem Marie
entgelten, die keine gute Stunde mehr hatte und mit schwerem
Herzen ihre Arbeit tat, da auch der Tag immer näher
heranrückte, an dem sie ihr Bündel schnüren sollte.
Eines Tages klagte sie Josef ihr Leid, der ihr Mut und Trost
zusprach und sie innig in die Arme schloss. Gerade in diesem
Moment kam der Wirt daher, der eben auf dem Weg war, dem
unerwünschten Gast die Rechnung zu überreichen. Als er Marie
in den Armen des Sohnes erblickte, schrie er sie wütend an:
"Nun ist's aber an der Zeit, dass du dein Bündel packst und
deiner Wege gehst. Zuerst aber zahle noch die Zeche, die der
saubere Gast bisher nicht beglichen hat." Und zum Sohn
gewandt, setzte er hinzu: "Und von dir erwarte ich, dass du
noch heute um die Hand des Mädchens anhältst, das ich dir
zugedacht habe."
Doch Josef erklärte, wenn Marie aus dem Hause müsse, werde
er mit ihr gehen; denn er wolle nie und nimmer von dem
Mädchen lassen. Der Wirt entgegnete heftig, eine Wort ergab
das andere, und der laute Schall der streitenden Stimmen
erfüllte das Haus. Plötzlich öffnete sich die Tür der nahe
gelegenen Stube des Paracelsus, und der Arzt trat auf die
Erregten zu. "Nun, nun", sagte er zu dem erzürnten Wirt,
"wer wird denn so hart sein! So gebt doch dem braven
Burschen das arbeitsame Mädchen! Sie wird durch Fleiß und
Geschicklichkeit ersetzen, was ihr an Geld abgeht."
Jetzt wandte sich der ganze Groll des Wirtes gegen seinen
Gast. Er verbat sich jede Einmischung in seine häuslichen
Angelegenheiten und rief zuletzt mit zorniger Stimme: "Im
übrigen zahlt lieber Eure Rechnung, sonst müsst Ihr sofort
mein Haus verlassen wie diese beiden da."
Während Paracelsus den Wirt beschwichtigen wollte und im
Gespräch auch einfließen ließ, dass er Gold zu machen
verstehe, suchte Marie ihre Barschaft hervor, um die Schuld
des Fremden zu bezahlen, da dieser gar keine Anstalten
machte, dem Wirt den verlangten Betrag auszufolgen. Doch
Paracelsus hielt das Mädel zurück, griff in die Tasche und
bot dem Wirt einen kupfernen Pfennig mit den Worten: "Weil
Euch gar so sehr um Euer Geld zu tun ist, will ich Euch
vorläufig eine Anzahlung geben; den Rest bekommt Ihr in
Bälde."
Kaum hatte der Wirt den Pfennig angesehen, als er ihn dem
Gast vor die Füße warf. "Wie", schrie er den Fremden an,
"das nennt Ihr eine Anzahlung! Mit einem schäbigen Pfennig
wollt Ihr eine Schuld von mehreren Goldgulden begleichen?
Ihr seid ein ganz unverschämter Lügner und Prahler, der
diesen Pfennig ebenso wenig zu Gold machen wird, wie mein
Sohn dieses Mädchen zur Frau bekommt."
"Wollt Ihr den Schwur, den Ihr soeben getan habt, auch
halten?" fragte Paracelsus ruhig den tobenden Wirt.
"So wahr ich hier stehe und lebe!" rief dieser mit
knirschenden Zähnen.
"Dann hebt einmal den Pfennig auf und schaut ihn Euch näher
an!" entgegnete der Gast und lächelte den beiden jungen
Leuten zu, die unruhig dem Wortwechsel zuhörten.
Der Wirt bückte sich und griff nach der Münze, voll Staunen
hielt er ein schweres Goldstück in der Hand.
"Ich glaube, meine Rechnung ist damit bezahlt", meinte
Paracelsus, "und Ihr habt nichts mehr von mir zu fordern.
Nun haltet aber auch Euer Versprechen und gebt den Kindern
Euren Segen! Das Goldstück aber hütet als Andenken an mich!"
Mit diesen Worten wandte sich der Gast, nahm sein Ränzel auf
den Rücken und verließ den Gasthof, während ihm der Wirt in
stummer Verwunderung nachstarrte. Das junge Paar aber war in
höchstem Glück, überzeugt, dass der Vater seinen Schwur
halten werde. Immer wieder betrachtete der Wirt den
wunderbaren goldenen Pfennig, küsste ihn im Überschwang der
Gefühle und umarmte dann die glückliche Marie und seinen
Sohn, gegen deren Heirat er nichts mehr einzuwenden hatte.
Die Kunde von diesem Pfennigwunder im "Schwarzen Adler"
verbreitete sich mit Windeseile in der Stadt, und der Strom
der Neugierigen, die Näheres wissen und den goldenen Pfennig
betrachten wollten, nahm kein Ende. Der Wirt machte ein
glänzendes Geschäft. Sooft er aber die goldene Münze aus
ihrem Versteck nahm, um sie den Gästen zu zeigen,
streichelte er sie liebevoll, und jedes Mal, bevor er das
wunderbare Goldstück wieder verwahrte, drückte er einen Kuss
auf die Münze. So erhielt das Wirtshaus den Namen "Küßdenpfennig".
Über dem Eingang des Hauses in der heutigen Adlergasse aber
wurde ein Bild angebracht, das die Verwandlung des kupfernen
Pfennigs in ein Goldstück zeigte und die Inschrift trug:
Der teure Theophrast, ein Alchimist vor allen,
Kam einst in dieses Haus und konnte nicht bezahlen
Die Zech, die er genoss. Er trauet seiner Kunst,
Mit welcher er gewann viel großer Herren Gunst.
Ein sicheres Gepräg von schlechtem Wert er nahm,
Erklärte es als Gold. Der Wirt von ihm bekam
Dies glänzende Metall. Er sagt: Nimm dieses hin;
Ich zahl' ein mehreres, als ich dir schuldig bin.
Der Wirt ganz außer sich, bewundert solche Sach',
Den Pfennig küss' ich, zu Theophrast er sprach.
Von dieser Wundergeschicht, die in der Welt bekannt,
Den Namen führt dies Haus, zum Küßdenpfennig genannt.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite 40, Bilder: gemeinfrei
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Günter Nikles
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