Das Jahr 1679 mag den Wienern lange im Gedächtnis
geblieben sein; denn es brachte wie kaum ein zweites Unheil
und Tod über viele Familien. Von Ungarn kommend, war der
grausame Würger Pest in die Stadt geschlichen. Anfangs kaum
bemerkt, hatte sich die Seuche in kurzer Zeit in fast allen
Häusern breit gemacht. Wer konnte, verließ die Stadt; denn
die Zahl der Erkrankten stieg von Tag zu Tag, die Todesfälle
wuchsen an, manche Leute wurden mitten in den Straßen vom
Tod ereilt, so dass zuletzt viele Tote in den Straßen
umherlagen. Reiche und Arme, Junge und Alte fielen der
würgenden Krankheit zum Opfer. Unaufhörlich fuhren die
Leichenwagen, hochbeladen mit Toten jedes Standes und
Geschlechtes. Die Stadtknechte lasen auf, was sie fanden,
beluden ihre Wagen und leerten sie in die Pestgruben, die
man vor der Stadt ausgehoben hatte. Waren die Gruben voll,
wurden sie einfach zugeschüttet.
In dieser schweren Zeit lebte in Wien ein lustiger Sänger
und Dudelsackpfeifer, der immer fröhlich und guter Dinge war
nach dem Grundsatz:
"Lustig gelebt und lustig gestorben
ist dem Teufel die Rechnung verdorben."
Seines unverwüstlichen Humors wegen war er den Wienern lieb
und wert, allgemein hieß er nur "der liebe Augustin".
Augustin hielt
sich mit Vorliebe im Bierhaus "Zum roten Dachel" am
Fleischmarkt auf und gab dort seine Possen und Lieder zum
besten. Obwohl in der Pestzeit die meisten Lokale aus Furcht
vor Ansteckung von den Wienern gemieden wurden, gab es im
"Roten Dachel" stets vollbesetzte Tische; denn Augustins
Humor lockte manchen Waghalsigen dorthin, der bei dem edlen
Gerstensaft und den heiteren Klängen von Augustins
Sackpfeife das tägliche Elend zu vergessen suchte.
An einem klaren Septemberabend aber saß der liebe Augustin
trüb und niedergeschlagen in der Schenke, denn heute wollte
sich kein Gast zeigen. Wortlos und unwillig stierte er vor
sich hin und ließ sich Glas um Glas vorsetzen, um seinen
Unmut zu dämpfen. Wankend und höchst unsicher auf den
Beinen, verließ er spätabends den Schauplatz seiner früheren
Triumphe, um seine vor der Stadt gelegene Behausung
aufzusuchen.
Als er über den Kohlmarkt zum Burgtor hinausgetorkelt war,
stolperte er und fiel am Rande der Straße nieder, wo er,
unfähig, sich wieder zu erheben, liegen blieb und gleich
einschlief. Als ein wenig später die Pestknechte mit einer
Leichenfuhre an der Stelle vorüberkamen, dachten sie, hier
liege auch ein mausetoter Mann, packten ihn und warfen ihn
zu den übrigen Toten auf den Wagen. Sie luden ihn dann mit
den andern in der Pestgrube ab und fuhren wieder davon.
Augustin aber hatte weder das Aufladen noch das Abladen
verspürt, sondern mitten unter den Toten auf dem Wagen und
in der Grube weitergeschlafen, als ob er zu Hause in seinem
Bett läge. Als ihn dann die Morgenluft ernüchterte und er
aus seinem Schlummer erwachte, sah er mit Bestürzung, dass
eine Pestgrube voll schauerlicher Leichen seine unheimliche
Schlafstätte gewesen war. Da kamen gerade die Pestknechte
mit einer neuen. Leichenfuhre zu der Grube und gewahrten
entsetzt einen Mann zwischen den Toten herumstapfen.
Augustin aber rief ihnen laut schimpfend zu: "So helft mir
doch! Seht ihr denn nicht, dass ich den Grubenrand nicht
erreichen und daher aus dieser verdammten Grube nicht
hinausklettern kann?"
Einer von den Knechten aber sagte: "Den haben wir doch
gestern für tot auf der Straße aufgelesen und in die Grube
geworfen. Hat der Mensch Glück, dass die Grube gestern noch
nicht voll war und daher nicht zugeschüttet wurde, sonst
hätte es für ihn aus seinem Rausch kein Erwachen mehr
gegeben!"
Der liebe Augustin aber wurde ungeduldig. Die Helfer waren
ihm zu langsam. "Mit einer Nacht in der Pestgrube habe ich
vollauf genug", rief er unwillig, "ich will keine Minute
länger hier drinnen bleiben. Rasch, helft mir hinauf!"
Sie zogen ihn aus der Grube, und er ging schimpfend davon.
Das Nachtlager unter den Pestleichen hatte keine bösen
Folgen für ihn; er blieb gesund, wie er es bisher gewesen
war, und bildete weiter den Anziehungspunkt für die Gäste
des "Roten Dachel", denen er sein schauriges Abenteuer in
zierlichen Versen noch oft zu Gehör brachte, bis er im Jahre
1702 hochbetagt eines natürlichen Todes starb.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o.
J., Seite 22; Briefmarke: Post AG, Bilder: Invisigoth67 unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 und gemeinfrei.
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Günter Nikles
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