Kaiser Rudolf II. ließ im Jahre 1587 nahe bei
Kaiser-Ebersdorf, gerade an der Stelle, wo bei der ersten
Türkenbelagerung das kostbare Zelt des Sultans Soliman
stand, ein schönes Lustschloss bauen. Dieses versah er mit
einer Menagerie, in welcher die seltensten reißenden Tiere
gehalten wurden. In diesem prächtigen Schlosse, seinen
weitläufigen, wohlgepflegten Gärten, seinen mannigfachen und
seltenen Kostbarkeiten, verweilte nun der Kaiser gar oft und
ruhte von den damals gar schweren Sorgen der Regierung im
Kreise seiner Familie aus.
Da feierte einst die kaiserliche Familie ein gar schönes
Fest. Es war das Geburtsfest der kleinsten Prinzessin, und
eine große Zahl von Edelleuten fand sich in dem zu ebener
Erde befindlichen großen Saale zusammen, um hier zu Ehren
derselben prächtige Aufzüge zu veranstalten.
Das erst vierjährige, gar wunderliebliche Töchterlein des
Schlossverwalters Georg Glüheisen trat, als Schutzgeist
Österreichs gekleidet, vor die kleine Prinzessin und sprach
im Namen aller Anwesenden einen gar herzlichen Glückwunsch.
Da donnerten die Kanonen, schmetterten die Trompeten und
jubelten die Gäste. Es war ein freudiges Fest. Plötzlich
trat, zum sprachlosen Schreck aller, ein Löwe majestätischen
Schrittes in den Saal. Durch das Getöse wild gemacht, war er
aus seinem Käfig ausgebrochen, hatte sich in den Garten
gestürzt und war endlich zum Lustschloss gekommen, in das er
eindrang. Er war geblendet von all dem, was er hier sah, und
starrte verdutzt die Versammlung an. Schon waren die Wachen
herbeigeeilt, um den so unwillkommenen Störenfried
niederzuschießen; da warf sich die kleine Berta an den Hals
des Löwen und bat flehentlich, ihm nichts zu tun; sie werde
ihn schon in seinen Käfig führen. Und merkwürdig! Zum
größten Staunen aller ließ sich der Löwe von seiner kleinen
Führerin aus dem Saale, aus dem Schloss seinem Käfige
zuführen und ging freiwillig in denselben hinein. Der Kaiser
selbst sah dem sonderbaren Schauspiele zu und befahl, von
nun an die kleine Berta nie anders als Löwenbraut zu nennen,
der Löwe bleibe aber von nun an ihr Eigentum.
Jahre waren seitdem verflossen; aus der kleinen, lieblichen
Berta war eine schöne Jungfrau, die Freude ihrer Eltern,
geworden.
Immer noch besuchte sie den Löwen, und so traurig dieser
war, wenn sie auch nur einen Tag nicht zu ihm gekommen war,
so lustig und voll Freude war er, wenn sie wieder kam.
Da hatte ein gar braver junger Mann um die Löwenbraut
geworben; sie sollte seine Frau werden. Die Eltern waren es
zufrieden, das Mädchen auch, der Tag der Hochzeit wurde
festgesetzt, und nun gab's eine Menge zu schaffen. Berta
hatte so viel zu nähen und herzurichten, dass ihre Besuche
bei dem Löwen immer seltener wurden, was diesen unendlich
traurig zu machen schien. Endlich kam der Hochzeitstag. Die
junge, schöne Braut, gar reizend geschmückt, sollte nun zur
Kirche gehen, um ihrem Bräutigam angetraut zu werden. Doch
wollte sie sich noch einmal von ihrem Löwen verabschieden,
den sie nun nimmer pflegen sollte.
So trat sie in den Käfig desselben und liebkoste ihn wie
sonst; doch er blieb traurig, als hätte er es geahnt, dass
dies ihr letzter Besuch sein sollte. Da bemerkte er ihren
Bräutigam vor dem Käfige; seinen Wut erwachte, ein
furchtbares Brüllen entrang sich ihm, und schreckensbleich
suchte die geängstigte Braut aus dem Käfig zu kommen. Doch
der Löwe stellte sich vor dessen Tür und peitschte den Boden
mit dem mächtigen Schweife. Da stürzte sich der Bräutigam in
den Käfig. Doch schon hatte der Löwe die Braut mit einem
schweren Tatzenschlage tot zu Boden gestreckt, und fast
willenlos ließ er sich von dem entsetzten Manne
niederschießen.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J.,
Seite 281.
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