Einst lebte in Wien ein Schmied, Meister Martin, der
wegen seiner gewaltigen Stärke in der ganzen Stadt bekannt
und berühmt war; man hieß ihn deshalb den "Eisenarm°. Der
Schmied hatte noch eine andere Eigenart, die dazu beitrug,
dass ihn seine Mitmenschen mit besonderen Augen ansahen. Er
arbeitete nämlich in seiner Werkstatt tagtäglich, auch an
Sonn- und Feiertagen, wiewohl dies gegen jeden Brauch und
gegen das Kirchengebot verstieß, aber nur so viel und so
lange, bis er vier Groschen verdient hatte. Dann legte er
sein Schurzfell ab und sperrte seine Werkstatt zu. Mochte
man ihm auch goldene Berge versprechen, nichts konnte ihn
dazu bewegen, einen Hammer oder eine Zange in die Hand zu
nehmen. Die Wiener hatten sich mit dieser Gewohnheit des
wackeren Meisters längst abgefunden, aber sie versäumten es
nicht, jeden Fremden, der in der Stadt eintraf, auf das
seltsame Benehmen ihres Mitbürgers aufmerksam zu machen.
Als im Jahre 1237 Kaiser Friedrich II. nach Wien kam und
sich nach Erledigung der Staatsgeschäfte auch um die
Merkwürdigkeiten der Stadt erkundigte, erzählte man ihm
unter anderem auch von Meister Martin und seiner seltsamen
Gepflogenheit. Kopfschüttelnd vernahm der Kaiser die
sonderbare Geschichte und wollte den Mann mit eigenen Augen
sehen. So wurde denn Martin an den Hof berufen, wo ihn der
Kaiser nicht allzu gnädig empfing; denn er fand es als ganz
ungehörig, dass der Schmied auch an den höchsten Feiertagen
arbeitete.
"Ist alles wahr, was man von dir erzählt?" fragte er
unwillig. Der Meister blickte dem Herrscher offen in die
Augen und gestand freimütig, dass es damit seine Richtigkeit
habe.
"Warum müssen es gerade vier Groschen sein, die du täglich
verdienen willst?" forschte der Kaiser weiter.
"Herr", erwiderte der Schmied, "ich habe mir zum Vorsatz
gemacht, jeden Tag so viel zu verdienen, als ich benötige,
und mehr als vier Groschen brauche ich nicht."
"Und was machst du mit den vier Groschen?" erkundigte sich
Friedrich neugierig.
"Einen verschenke ich", meinte Meister Martin, "einen
erstatte ich, einen werfe ich weg und einen verwende ich für
mich."
Verwundert hörte der Kaiser diese Auskunft und meinte: "Das
ist mir unverständlich; erkläre es mir näher!"
"So hört, mein Herr und Kaiser!" gab der Schmied zur
Antwort; "einen Groschen verschenke ich an die Armen; den
zweiten gebe ich meinem Vater zum Lebensunterhalt und
erstatte ihm damit das zurück, was er in meiner Jugend, als
ich noch nichts verdienen konnte, für mich ausgelegt hat;
den dritten Groschen überlasse ich meiner Frau zur
beliebigen Verwendung, der ist wahrlich weggeworfen; denn
sie braucht ihn zu nichts anderem als zu Tand und Vergnügen;
den letzten endlich verwende ich selbst für meine eigenen
Bedürfnisse. Ihr seht also, gnädigster Herr, ich finde mit
vier Groschen reichlich mein Auslangen, wie ich Euch schon
gesagt habe."
"Nicht übel!" meinte der Kaiser, dessen Miene bei den Worten
des Schmiedes immer wohlwollender geworden war. "Eisenarm,
du kannst gehen und weiterarbeiten wie bisher. Aber sage
keinem Menschen ein Sterbenswörtchen von unserer
Unterhaltung! Erst wenn du hundertmal das Angesicht deines
Kaisers gesehen hast, darfst du darüber sprechen."
Der Schmied versprach, den Willen des Herrschers zu
erfüllen, verneigte sich ehrerbietig und ging seiner Wege.
Der Kaiser aber ließ seine Räte zusammenberufen und legte
ihnen, um ihre Weisheit zu prüfen, folgende Frage vor: "Sagt
mir, wie würdet ihr vier Groschen verwenden, von denen der
erste verschenkt, der zweite erstattet, der dritte
weggeworfen und der vierte verbraucht wird?"
Verlegenes Schweigen entstand in der Runde. Keiner der Räte
wusste auf diese Frage eine Antwort zu geben. Da sagte der
Kaiser: "Ich gebe euch acht Tage Frist, die Sache wohl zu
überlegen; dann aber möchte ich eure Antwort hören."
Doch vergebens bemühten sich die weisen Herren um die Lösung
des Rätsels. Keinem gelang es, eine befriedigende Antwort zu
finden. Endlich kam einer von ihnen auf die Vermutung, die
Frage könnte mit dem Erscheinen des Schmieds vor dem Kaiser
in Zusammenhang stehen. Sie suchten also den Meister auf und
begannen ihm heftig zuzusetzen. Lange wollte Eisenarm nicht
mit der Farbe herausrücken. Als sie ihm aber alles
versprachen, was er sich etwa als Belohnung wünschen wollte,
sagte er:
"Ich will euch die Deutung der Frage geben, wenn ihr mir
hundert Goldgulden bringt."
Das Geld wurde herbeigeschafft und dem Schmied vorgezählt.
Dieser nahm jede einzelne Münze, besah sie genau, eine nach
der andern, und erzählte sodann, was es mit den vier
Groschen für eine Bewandtnis habe. Zufrieden entfernten sich
die Herren.
Als die festgesetzte Frist verstrichen war, erschienen die
Räte vor dem Kaiser und gaben auf seine Frage die richtige
Antwort. Missmutig erkannte Friedrich, dass die hochweisen
Herren aus der rechten Quelle geschöpft haben mussten; denn
nur der Schmied war in der Lage, ihnen so genaue Auskunft zu
geben. Er ließ daher den Meister zu sich berufen und warf
ihm mit zornigen Worten seinen Ungehorsam vor. "Habe ich dir
nicht ausdrücklich untersagt", schloss er mit finsterer
Miene, "auch nur ein Wort von unserem Gespräch verlauten zu
lassen? Warum hast du mein Verbot übertreten?"
"Das habe ich nicht getan", erwiderte mit fester Stimme der
Schmied; "die Herren brachten mir hundert Goldgulden, und
ich habe mir hundertmal das Antlitz meines gnädigen Kaisers
besehen, bevor ich Auskunft gegeben habe. Unter dieser
Voraussetzung aber durfte ich nach Euren eigenen Worten,
erhabener Herrscher, reden."
Lachend vernahm der Kaiser diese Auslegung seines Gebotes
und verabschiedete den schlauen Schmied mit einem
ansehnlichen Geschenk. So hatte Meister Martin doppelten
Gewinn davongetragen und kehrte schmunzelnd in seine
Werkstatt zurück. Die Geschichte vom Meister Martin Eisenarm
bildete noch lange, wenn die Leute zusammentrafen, das
Stadtgespräch.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o.
J., Seite 50.
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