Es war wohl eine der wichtigsten Stunden für unser
Vaterland, als sich in der kaiserlichen Hofburg ein
unscheinbarer, kleiner und blasser Jüngling dem Kaiser
Leopold I. vorstellte und ihn bat, ihm ein Offizierspatent
in des Kaisers ruhmreicher Armee zu geben. Es war Prinz
Eugen von Savoyen, der seinem hochmütigen König Ludwig XIV.
aus Frankreich entflohen war, um Kaiser Leopold seine
Dienste anzubieten. Ein Kämpfer wollte er seih gegen die
furchtbaren Türkenhorden. Ein neues Vaterland wollte er sich
gründen in dem herrlichen Österreich und treu ausharren bei
seinem kaiserlichen Herrn bis an sein Ende.
Kaiser Leopold sah in die flammenden Augen des jungen
Prinzen und merkte gleich, dass in dem anscheinend schwachen
Körper des jugendlichen Mannes eine Heldenseele wohnte. "Ja,
mein Sohn, Du sollst hier ein neues Vaterland finden und in
mir den Vater, der Dir gerne vertraut", sagte er. Und so
wurde der Neffe des Kardinals Mazarin, der Frankreichs
Geschicke leitete, der Sohn des Herzogs von Savoyen, Prinz
Eugen, österreichischer Dragoneroffizier. Schon bei dem
Entsatze Wiens, bei der zweiten Türkenbelagerung, zeichnete
sich Prinz Eugen als einer der tapfersten und
unerschrockensten Soldaten aus, und rasch stieg er von Würde
zu Würde, bis er die höchste erklomm und der
Feldmarschallstab ihn zu dem bewunderten Führer des
österreichischen Heeres machte. Den "kleinen Kapuziner"
hießen ihn seine ihn anbetenden Soldaten, und der große Held
wurde der Feinde Schrecken, wie es vor ihm keinen zweiten
gegeben hat. Türken, Franzosen und Italiener, die Österreich
zu vernichten gedachten, warf er in den Staub, und
Österreichs Waffenruhm erfüllte die Welt mit Neid und
Schrecken.
Nannte sich Kaiser Leopold seinen Vater, so war der
Nachfolger dieses Kaisers, Josef L, sein Freund, sein
Bruder, der in ihm den Genius Österreichs verehrte. Und mit
derselben Treue diente er seinem dritten Kaiser, Karl VI.,
den er freilich nicht mehr Vater und Bruder, sondern seinen
Herrn nannte.
Aber wie es nicht anders sein konnte, so umdüsterten oft
genug den vielerfahrenen Helden schwere Sorgen, denn zum
Kriegführen braucht man immer, wie der Feldherr Montecuccoli
einst so treffend sagte, drei Dinge: Geld, Geld und wieder
Geld. Und des Geldes gab es in Österreich manchmal nur allzu
wenig und der Feinde nur allzu viel.
Wieder stand ein neues türkisches Heer in Niederungarn. Bei
Zenta sollten Österreichs Geschicke entschieden werden.
Prinz Eugen hatte wohl ein Heer, aber dieses litt Mangel an
allem, und nur viel Geld konnte den furchtbaren Feldzug
ermöglichen. Kummervoll saß Prinz Eugen in seinem Lehnstuhl
und überdachte die traurige Lage seines Heeres. Die
unzähligen Scharen des Türkenheeres waren im Anzug und jeder
verlorene Tag, an welchem sich das österreichische Heer dem
grausamen Feinde nicht entgegenstellen konnte, war ein
furchtbarer Schaden für das Reich. Da sprang plötzlich Prinz
Eugen von seinem Stuhl auf, wie wenn ein erlösender Gedanke
sein Gehirn durchblitzte. "Bringt drei große Kisten, füllt
sie mit Sand und Steinen, versiegelt sie sorgsam und stellt
sie dann her in mein Zimmer. Sodann holt mif den Hofjuden
Oppenheimer." Wie der Herr befohlen, so taten rasch die
Diener, wenn sie sich auch nicht erklären konnten, wozu die
wertlosen Kisten dienen sollten.
Samuel Oppenheimer war einer der reichsten Juden seiner
Zeit. Seine Frachtwagen mit den kostbarsten Waren fuhren
über alle Landstraßen. Seine Schiffe brachten Waren aus den
entferntesten Ländern, seine reichen Kaufläden fand man in
allen Städten, und oft, wenn es in den Kriegskassen an Geld
fehlte, war er es, der sie gerne füllte. Was er hier borgte,
war für ihn nicht verloren, es wurde ihm mit reichen Zinsen
bezahlt. Die Schulden Österreichs an Oppenheimer zahlten die
Türken, die, von Prinz Eugens Feldherrngeschick bezwungen,
ihre Niederlagen mit schwerem Geld büßen mussten.
Bald trat Samuel Oppenheimer tief gebückt in das Gemach des
Prinzen Eugen ein und fragte demütig, was seine Hoheit von
ihm wünsche. Er wusste es wohl, aber er fragte doch. Prinz
Eugen ging ihm freundlich entgegen und sah dem gebückten
Greis in seinem schwarzen Kaftan und dem schneeweißen Haar
und dem schlauen, von einem langen, weißen Vollbart
umrahmten Gesichte scharf ins Auge. "Siehst Du hier diese
drei großen Kisten; sie sind ungeheuren Gewichtes. Sie sind
voll Gold und kostbarster Edelsteine. Ich brauche Geld; die
elenden Türken verheeren das prächtige Ungarland. Ich muss
sie schlagen, und unermessliche Reichtümer bringe ich heim.
Nimm diese Kisten zum Pfände, bringe mir die Dukaten, die
ich brauche, und so wahr ich der Prinz Eugenius bin, ich
löse sie wieder ein."
Samuel Oppenheimer stand immer noch tief gebückt vor dem
Prinzen, er sah die Kisten bedeutungsvoll an, und
verschmitzt lächelnd bemerkte er: "Hoheit, ich nehme das
Pfand und bringe die Dukaten, die Ihr braucht; ich weiß, die
Türken werden mir Eure Schuld bezahlen."
Nun waren die Sorgen des Prinzen dahin. Schon in wenigen
Tagen zog das österreichische Heer nach Ungarn und mit ihm
ungezählte Wagen mit Lebensmitteln, Pulver und Kugeln und
allem Kriegsgerät. Und die ewig denkwürdige Schlacht bei
Zenta wurde geschlagen, das türkische Heer vernichtet, die
unermesslichen Reichtümer des türkischen Heeres fielen in
die Hände der Österreicher, und schwere Kriegsgelder musste
der Sultan an den Kaiser zahlen.
Umjubelt von den überglücklichen Wienern, mit den höchsten
Ehren von seinem Kaiser empfangen, zog Prinz Eugen mit
seinem ruhmgekrönten Heere in Wien ein. Das erste, was er
tat, war, den Hof Juden Samuel Oppenheimer zu sich kommen zu
lassen. Dieser kam und beglückwünschte den Helden zu seinem
Sieg. Lächelnd dankte der Prinz für diese Glückwünsche und
sagte ihm: "Es ist wahr, Gott schenkte uns den Sieg, aber Du
halfst uns auch mit Deinem Geld. Bringe mir meine drei
Kisten, und Du sollst Dein Geld zurückhaben bei Heller und
Pfennig und die Zinsen dazu."
Und der Hofjude öffnete die Tür, und die Diener schleppten
mühsam die drei Kisten herein und stellten sie nieder, um
sich dann schnell zu entfernen. Oppenheimer hatte die Kisten
gleich mitgebracht, wusste er doch, der Prinz blieb nichts
schuldig, wenn er nicht schuldig bleiben muss. Schnell wurde
das Geschäft abgetan, und der Hofjude erhielt die
notwendigen Anweisungen.
"Und weißt Du nun, Samuel Oppenheimer, was für Kostbarkeiten
sich in diesen Kisten befanden?" sagte lachend der Prinz.
Und dieser sah ihm verschmitzt lächelnd in das Gesicht und
antwortete: "O ja: Sand, Hoheit, Sand!"
Und gar nicht überrascht drückte ihm der Prinz die Hand und
geleitete ihn zur Tür.
Beide waren mit dem Sand wohl zufrieden.
Quelle: Holczabek/Winter, Sagen und Geschichten der Stadt Wien. Zweites Bändchen. Wien 1901, Bilder: Jacob van Schuppen, gemeinfrei und www.nikles.net.
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Günter Nikles
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