Nahe dem Kahlenberge erhebt sich ein spitzer Berg, auf
welchem vor Zeiten ein Kloster stand, davon noch Trümmer
erblickt werden. Ein Ritter, namens Herrmann, erbaute das
Kloster, und nach ihm heißt der Berg der Herrmannstein.
Rings in der Umgegend sind die alternden Trümmer jenes
Klosterbaues verrufen, und niemand naht ihnen ohne Schauer
und heimliches Grauen.
Einst kam zu einer jungen und schönen Nonne des Klosters,
als sie hinter dem Gitterfenster ihrer Zelle stand, ein
schmucker Jägersmann in grünem Kleide und stolzem Federhut.
Er winkte ihr und rief ihr, und die Leichtsinnige nickte ihm
zu und fand Mittel, durch ein Pförtlein herauszuschlüpfen
und mit dem Jägersmann zu kosen und Kurzweil zu treiben.
Öfters wiederholte der Jäger seinen verstohlenen Besuch, und
immer vertraulicher gab das Nönnlein sich ihm hin, so dass
sie manchesmal kaum die Zeit erharren konnte, bis ihr süßer
Buhle kam.
Eines Tages ließ er länger als gewöhnlich auf sich warten.
Endlich kam er und sprach viel davon, dass er im nahen
Buchenwalde einen großen Schatz entdeckt habe, den sollte
ihm die Nonne heben helfen, und dann wollten beide
miteinander weit von dannen fliehen. Die betörte Nonne
folgte dem geliebten Manne; sowie aber beide außer dem
Bereich des geweihten Klostergebietes und in dem finstern
Walde waren, offenbarte sich der Frevlerin ein unerhörtes
Schrecknis, denn mit einem Male wuchs ihr Jäger zu
gräulicher Riesengröße empor, seine Hände wurden zu Klauen,
seine Füße zu Hufen, seine Hutfedern zu Hörnern, sein Mantel
erschien in Fledermausflügel verwandelt. Mit einem
Schreckensschrei sank die Nonne in Ohnmacht, als sie die
wahre Gestalt ihres Buhlen erkannte, der sie ergriff und
zerriss. Seitdem ist's nicht geheuer im Walde um den
Herrmannstein. Die Nonne irrt in ihm als Gespenst umher, und
in stillen Nächten ertönt ihr wimmerndes Klagegeschrei.
Am Fuße des Herrmannsberges quillt auf grüner Wiese das
Jungfernbrünnel, dort wird bisweilen die wandelnde Nonne
erblickt. Sie zeichnet des Waldes Steine mit Kreuzen und
hofft auf ihre Erlösung.
Quelle: Volkssagen, Mährchen und Legenden des
Kaiserstaates Österreich, Ludwig Bechstein, 1840.
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Günter Nikles
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