Märchen aus Wien - Der Meisterkoch und sein Söhnlein
Es war am 24. März des Jahres 1330, als, des herrlichen Tages wegen, der "Berghof" in Wien angefüllt von lustigem Volke war.
Der "Berghof" (in der Krebsgasse, zwischen dem freiherrlich
Sinaschen Hause und der Rückseite des Neustädterhofes, heute: Bertoligasse) war
das älteste urkundlich überlieferte Gebäude Wiens, wie auch
in der dortigen Gegend die eigentliche Urstadt Wien zu
suchen ist.
Die Stadt "Vindobona" (wie Wien vordem hieß) blieb lange
Jahre, nachdem die Römer hier an der
Donau den germanischen
Wandervölkern gewichen waren, in Ruinen liegen. Seitdem
verschwand unsere Stadt für Jahrhunderte aus der Geschichte.
Erst die siegreich gegen die
Ungarn vordringenden Franken
haben wohl die alte Ruinenfestung besetzt, und die Stadt
lebte wieder auf. Ihr neuer Name "Wien" wird aber erst im
Jahre 1030 genannt. Der Babenberger Markgraf Leopold der
Heilige erbaute auf der vorspringenden Höhe, die unterhalb
des
Hohen Marktes mit steiler Böschung zur
Donau abfällt,
einen Jagdhof, welcher wegen dieser Lage "Perichhof", das
ist "Berghof", genannt wurde. Später diente der Berghof als
Gerichts- und Renthof der Markgrafen, deren Geschlecht 1156
die Herzogswürde erhielt. Als die Babenberger erloschen,
gelangte das glorreiche Haus der Habsburger in Österreich
und Wien zur Herrschaft. Nach Friedrich des Schönen Tode
übernahmen dessen beide jüngere Brüder, Albrecht der Weise
und Otto der Fröhliche, gemeinschaftlich die Regierung.
Zu dieser Zeit war der "Berghof" ein Ort, der von den
fröhlichen Wienern häufig besucht wurde, stets angefüllt von
lustigem Volke, welches da zechte und spielte, so dass man
ihn nicht mit Unrecht den "Volksgarten der vergangenen
Jahrhunderte" nennen kann. Auch die Adligen mischten sich
gern unter die heitere Menge; gab es doch täglich daselbst
ein neues Schauspiel, hervorgerufen durch die originelle
Gebarungsweise der schon damals durch ihren Humor und
treffenden Witz bekannten Wiener. Auch befand sich eine der
beliebtesten Gasthauswirtschaften daselbst, wo man sich bei
Geigenspiel, Becherklang und Kegelschieben bis spät in die
Nacht hinein gern unterhielt.
Man drängte und stieß sich am eingangs erwähnten Tage mehr
als je aneinander; diejenigen aber, welche dem Gedränge
ausweichen oder die durstigen Kehlen befeuchten wollten,
saßen an den Tischen beim fröhlichen Zechgelage und ließen
die beiden Herzoge Albrecht und Otto hochleben. Besonders
laut tönte das Jubelgeschrei von einem Tische her, welcher
etwas abseits von den übrigen stand; denn da saßen bunt
durcheinander die lebensfrohen jungen Männer von Wien und
trieben ihre Schnacken, welche stets von den Umstehenden
herzlich belacht wurden.
Den Mittelpunkt dieser Tischgesellschaft bildete ein
pfiffiger Student namens Wigand, geboren zu Theben in
Ungarn, etwa zwanzig Jahre alt, der auf Besuch bei seinem
Oheim hier in Wien weilte. Dieser Erzschelm und Spaßmacher
wie kein zweiter gab seine Schnurren im sprudelnden Übermaße
zum besten. Anekdoten und Witze strömten unablässig aus
seinem Munde und gingen auf das nachbarliche Volk über,
welches reinen Beifall zollte und in so dichten Massen den
Tisch umstand, dass ein dicker, schmerbäuchiger Mann in
stattlicher Tracht sich vergebens bemühte, durchzudringen.
"Bei meinen Ahnherren, den Meisterköchen, jetzt gebt endlich
Raum!" so rief der dicke Ankömmling. "Hört einmal, Wigand,
euer Gefolge ist ja bedeutender als das unserer gnädigsten
Herzoge, darum lasst die Reihen eurer Trabanten sich
öffnen."
Wigand von Theben, der also Angerufene, erhob nun seine
weitschallende Stimme. Er rief: "Gebt Raum für Herrn Stibor
Chrezzel (Kreßl), den man nennt 'vom Niernschlögel', den
Meisterkoch Ihrer Hoheiten, Versalzer aller Suppen und
Inbegriff des Umfanges der Erdkugel."
Als das Volk den Namen der Person hörte, welche sich so
rasch in seine Mitte eindrängte, machten die Leute mit
freudiger Achtung Platz und riefen ein dreimaliges Lebehoch:
erstens den gnädigen Herzogen, zweitens dem wackeren
Küchenmeister und endlich seiner reizvollen Kunst.
Kaum hatte sich jedoch der Raum geschlossen, als in der
Mitte der Menschenmenge eine krächzende Stimme sich erhob.
"Ach, Hilfe, Hilfe!" schrie es. "Es ist ja unerhört, dass
ich von meinem bestgeliebten, ehrenfestesten Herrn und
Meister getrennt werde. Lasst mich doch auch zu ihm. Ich bin
Johannes, sein Schüler und Unterkoch."
Der Raum öffnete sich von neuem, und es zeigte sich ein
spindelbeiniges, verkrüppeltes, hässliches, ungemein
widerliches Männlein: Herr Johannes, beigenannt "Kerindhöll",
welches Männlein halb zerdrückt zu Stibor humpelte und sich
an ihn anklammerte.
Ihr werdet, liebe junge Leser, bei dem Namen "Kerindhöll"
staunen und lachen. Nun seht, vor alten Zeiten gab es noch
keine Zunamen, da fügte man dem Taufnamen das Amt, Gewerbe
oder den Geburtsort, die Verwandtschaft, Lage des Wohnortes,
eine gute oder böse Eigenschaft, besonders erfundene
Spottnamen und so weiter bei. So hieß jemand der
"Suchenwirt", weil er gern Wirtshäuser besuchte, ein zweiter
"Arbeitschnapper", weil er, wo er konnte, die Arbeit für
andere verrichtete, ein dritter "Misthäuflein", weil ein
solcher Unrat stets vor seiner Türe lag, den er zu faul war,
wegzuräumen, einer "Hundsfeind", weil der die Hunde hasste,
einer "Schlaginhaufen", weil er gleich beim Dreinschlagen
war, einer "Trittinsieb" weil er in ein Sieb getreten und zu
Boden gefallen war, einer "Springinklee", weil er gern im
üppigen Grase herumsprang und so weiter.
Unser Kerindhöll war ein heimtückischer und boshafter
Mensch, der alle Leute schädigte, wo er nur konnte, und von
dem man daher meinte: Er gehöre besser in die Hölle als
unter die Menschen.
"Seht doch, Meister Stibor", rief der lustige Student
Wigand, "seht, die Kröte, welche an Eurem Arme
hinaufkriechen will. Wartet eine Minute und sie spritzt ihr
Gift auf Euch."
"Dagegen bin ich gut gepanzert!" erwiderte Stibor
verächtlich.
"Oho! Meint Ihr, Meister?" grinste Johannes höhnisch, fiel
aber also gleich in den Ton tiefster Demut und
Freundlichkeit, welcher seiner abschreckenden Fratze
tausendmal schrecklicher stand, als deren natürliche
Hässlichkeit. "Aber wie kann ich", fuhr er gleisnerisch
fort, ?nur so sündhaft sprechen. Behüte Gott, dass ich mit
Kraft und Willen meinem bestgeliebten Meister etwas zuleide
täte. Ich, als sein Gehilfe in der Küche, bin ihm aufs
wärmste ergeben."
"Es muss doch ein herrliches Leben in dieser Küche sein!"
rief der lustige Student. "Das wäre so meine Lust. Ach, wie
wässert mir der Mund danach!"
"Nun, wenn Euch gar so sehr der Mund danach zuckt", sagte
Stibor, so kommt morgen früh zu mir in des Herzogs Küche;
Ihr sollt sehen, wie sie eingerichtet ist, und mögt
allenfalls einiges daselbst verkosten."
"Dank, tausend Dank! Das wird eine Freude sein! Schon lange
wünschte ich das jämmerliche Bücherleben mit dem herrlichen
sorgenfreien Dasein Stibors, des Meisterkochs, zu
vertauschen. Vielleicht gelingt es mir jetzt. Ich komme
gewiss morgen zu Euch und studiere einstweilen auf ein
Mittel, mich bei den hohen Herren einzuführen."
"Horch, die Abendmette tönt. Es ist Zeit zum Aufbruch. Also,
Wigand, morgen ein fröhliches Wiedersehen in der
herzoglichen Küche!"
"Ja, ein fröhliches Wiedersehen, baldiger Herr Kollege!"
krächzte Johannes; aber für sich murmelte er: "Warte,
stolzes Kerlchen, durch dich muss Meister Stibor fallen."
Stibor grüßte alle freundlich und entfernte sich mit
gravitätischen Schritten. Johannes humpelte zu ihm, und
Wigand rief ihnen noch aus der Ferne nach: "Hole der Kuckuck
die Scharteken und Pandekten! Hoch, dreimal hoch die edle
freie Kochkunst!" - Dann folgte auch er der sich
verlaufenden Menge.
Die göttliche Vorsehung hatte es aber ganz anders mit ihm im
Sinne, als er hoffte, wie man gleich sehen wird.
Am andern Morgen in aller Frühe hatte sich Wigand vom Lager
aufgerafft und rannte durch die Stadt, ungeduldig die Zeit
erwartend, wo er sich schicklicherweise in der herzoglichen
Burg vorstellen konnte. Voll Langeweile hielt er sich auf
dem Fischmarkte auf, wo er die Menge der dort aufgehäuften
großen und kleinen Fische anstaunte. Um eine Fischbude herum
war das meiste Gedränge, denn da wurde ein Riese unter den
Flussbewohnern feilgeboten. Wigand gesellte sich auch zu den
Gaffern und versenkte sich so sehr in seine Träume von
zukünftiger Kunstgröße, dass ihn erst ein derber Stoß in die
Rippen zur Besinnung brachte.
"Verzeiht, zukünftiger Herr Kollege", krächzte wie
gewöhnlich der herzogliche Unterkoch Johannes, "dass ich
Euch so unsanft berührte, aber anders kann man ja hier nicht
durchdringen. Ei, ei, welch ein prächtiges Stück von einem
Fische! Dieser Riese wäre wohl etwas für die Tafel ihrer
Hoheiten!"
"Meint ihr?!" rief Wigand aus, und wie ein Blitz fuhr ihm
der Gedanke durch den Kopf, sich mit dem Fische in die
Hofburg zu begeben. Er fragte um den Preis, welcher sehr
hoch gestellt wurde. Wigand, von dem Unterkoch angeeifert,
suchte seine letzten Geldesreste zusammen - und der Fisch
ward sein Eigentum. Fröhlich jauchzend lud er ihn auf seine
Schultern, wobei ihm der Unterkoch dienstwillig half, von
Wigand aber unbemerkt, eine kleine Pille in des Fisches
Schlund gleiten ließ und ihn unter dem Vorwande wichtiger
Geschäfte also gleich verließ, nachdem er ihm mit hämischer
Miene einen Glückwunsch zugegrinst, der den Studenten wohl
schneidend berührte, ihn aber nicht das Schreckliche der
Zukunft ahnen ließ.
Fröhlich und wohlgemut schritt Wigand nach der Hofburg.
Dort, mit dem Fische auf der Schulter und der Losung "Für
den Herzog Otto" im Munde, gelangte er bis zu den Gemächern
desselben, aber hier scheiterte jeder Versuch an der
Bärbeißigkeit des aufgestellten Trabanten, der den Eintritt
wie Zerberus die Unterwelt verteidigte. Auf vieles Bitten
wurde ihm endlich der Zutritt gestattet, doch musste er
vorher eidlich geloben, mit dem Türsteher die Hälfte des zu
erlangenden Gegengeschenkes zu teilen.
So stand Wigand plötzlich vor dem Herzog Otto.
Otto, genannt "der Gutmütige" oder "stets Fröhliche"; Herzog
von Österreich, der jüngste seinen Vater überlebende Sohn
des römisches Königs Albrecht I., mit Elisabeth von Tirol
vermählt, stand damals im Alter von 29 Jahren. Er trug
seinen Beinamen mit vollem Recht, denn er war freigebig,
stets guter Laune und sehr herablassend, auch gegen den
geringsten seiner Untertanen.
Gnädig winkte der Herzog den Studenten heran.
"Gott zum Gruß! Netter Junge. Was bringst du denn so
Schweres in unsere Hallen?"
"Herzogliche Gnaden, einen seltenen Fisch, einen Riesen, so
groß wie meine Wünsche, so frisch wie mein fröhliches
Studentenherz, so stumm wie Eurer Gnaden weise Räte und so
schwer wie der Einlass zu Euch, gnädigster Herr."
"Bursche, du hast viel Witz in deinem Kopfe, und wenn du mir
auch nicht gesagt hättest, dass du ein Student bist, hätte
ich es doch gleich deiner ungezwungenen Fröhlichkeit
angesehen. Wie ist dein Name?"
"Wiegand von Theben, gnädigster Herr."
"Hab' ich doch schon lange gewünscht, den berühmten
Rädelsführer aller Studentenstreiche kennen zu lernen, nun
siehe, da liefert er sich selbst in meine Hände. Freund
Wigand, ich bin dir sehr viel Dank dafür schuldig und freue
mich sehr, dir einen Beweis liefern zu können, dass ich
lustige Kumpane deines Schlages zu schätzen weiß. Wenn es
dir ansteht, kannst du lustiger Rat bei mir werden. Oder
hast du anderes Begehr, so nenne mir deine Wünsche"
"Gnädigster Herr, mein höchster Wunsch wäre, wenn ich unter
Meisterkoch Stibor als Gehilfe aufgenommen werden könnte, um
einst an seine Stelle zu kommen. Dieses zu erbitten, kam ich
hierher."
"Es sei gewährt, doch was soll ich dir für den schönen Fisch
geben?"
"Lasst mir, gnädigster Herr, hundert wohlgezählte,
wohlausgiebige Prügel, so derb sie verabreicht werden
können, ausfolgen."
"Hundert Prügel? Bist du wahnwitzig geworden?"
"Ja seht, die Sache ist diese: Der Türhüter ließ mich nicht
zu Euch ins Zimmer, bevor ich ihm nicht eidlich die Hälfte
des Geschenkes, welches ich von Eurer Huld für den Fisch
erhalten würde, abzugeben versprochen."
"Ah, ich verstehe Euch, Ihr wollt dem Schurken euer
Versprechen auf verdiente Art halten. Verlasst euch darauf,
er wird nicht zu kurz kommen."
Sogleich wurden Wigand fünfzig, natürlich sehr leichte, kaum
fühlbare Streiche zugemessen, dem Trabanten aber die andern
fünfzig auf das derbste und nachdrücklichste verabfolgt.
Wigand dankte für die Gnade und wurde verabschiedet, mit der
Weisung, sich in die Hofküche zu begeben und dort als
Gehilfe sich sofort unter Stibors Aufsicht an die
Zubereitung des Fisches für die Mittagstafel zu machen, denn
Herzog Otto schenkte den Fisch seinem Bruder Albrecht II.,
da er sich gerüstet hatte, auf die Jagd zu ziehen.
Freudig eilte Wigand in die Küche. Stibor richtete den Fisch
zu, wobei ihm der Student treulich half, und zu Mittag
prangte das Meisterstück damaliger Kochkunst auf der Tafel
des Herzogs Albrecht. Darauf begann erst die Mahlzeit der
Diener, welche die Reste des Schmauses erhielten und es sich
dabei wohl sein ließen. Wigand schwelgte im seligsten
Entzücken und umarmte seinen Gönner Stibor einmal um das
andere.
Als sie genug gegessen und getrunken hatten, brachen sie
auf, um allesamt nach dem Berghofe zu wandern, wo Wigand
einen Festtrunk geben wollte. Schon standen sie an der Türe,
als sich diese plötzlich öffnete und der erstaunten
Gesellschaft eine Schar Trabanten sichtbar wurde, an deren
Spitze sich der von Wigand so bitter getäuschte Türhüter
befand. Im Namen des Herzogs besetzten die Waffenknechte die
Ausgänge und verweigerten den Austritt jedermann ohne
Ausnahme.
"Diese beiden hier; nahm nun der Anführer das Wort und
deutete mit hämischem Lächeln auf Wigand und Stibor, "diese
Bösewichter nehmet fest. Es sind die eingefleischten
Verbrecher, welche unseren weisen Herzog Albrecht und
Elisabeth, die liebliche Gemahlin seines Herrn Bruders,
mittelst des vergifteten Fisches gemordet haben. Packt sie
gehörig und lasst sie nicht entwischen, es gilt sonst euern
Kopf. Ja, da wollte sich die Natternbrut einschleichen und
brachte so lügenhaftes Zeug vor, um meine Treue und
Unbestechlichkeit zu verdächtigen. Nun ist's aus mit den
abgefeimten Burschen, man wird sie ohne Gnade und
Barmherzigkeit hinrichten."
"Lieber Gausrab - erlaubt, dass ich Euch diesen Namen
beilege und mögt Ihr ihn tragen als Andenken bis an Euer
seliges Ende - ich, der lustige Wigand, und mein Freund, der
würdige Meisterkoch Stibor, stehen in Gottes Hand. Ich fühle
mich unschuldig, und für Meister Stibor stehe ich mit Leib
und Leben. Ruhig gehe ich in den schmachvollen Tod, aber
Stibor soll ihn nicht mit mir teilen, wenn ich es verhindern
kann, und sollte ich mir selbst ein Verbrechen andichten
müssen, er kann nicht Mitwisser der Schandtat sein. Tat, was
Euch Pflicht und Gewissen gebieten!"
"Fürs erste", erwiderte der Trabant, "wird man euch beide in
den tiefsten Kerker werfen."
"Auch recht. Gott wir die leidende Unschuld retten oder nach
seinem weisen Ratschlusse mit ihr verfahren, jedenfalls aber
sie an dem Verräter rächen."
"Murret nicht, sondern geht gutwillig Euren verdienten Weg."
"Es soll nicht fehlen, seht nur Ihr zu, dass Ihr mit Euren
erhaltenen fünfzig Stockprügeln gut zu Fuße seid!"
Wigand und Stibor wurden abgeführt, die anderen Diener
blieben frei.
Johannes "Kerindhöll" - und fürwahr kein Mann des damaligen
Jahrhunderts verdiente seinen Beinamen mehr - geleitete sie
zur Türe hinaus und eilte dann in sein Kämmerlein, wo er wie
toll vor Freuden herumsprang und die widerlichsten Grimassen
schnitt. Er rieb sich dabei frohlockend die Hände, jauchzte
hoch auf, und sein Jubel kannte keine Grenzen. Aus einem
verborgenen Fache holte er ein Schächtelchen mit Pillen
hervor, betrachtete es inbrünstig und sagte halblaut: "Dir
verdanke ich es, dass mein bitterster Feind und Nebenbuhler
aus dem Wege geschafft wird. Ihr Goldpillen, lebt wohl, fort
mit euch, ihr könntet mich verraten."
"Darum hebe ich sie Euch auf", sprach es mit rauer
Bassstimme neben dem Erschreckenden, und der geprügelte
Trabant, der sich unbemerkt eingeschlichen hatte, nahm ihm
das Schächtelchen aus der Hand.
Totenbleich und zitternd fiel der Unterkoch vor ihm auf die
Knie und flehte um Zurückgabe des Schächtelchens.
"Nein, nein, mein Freund, es ist in den rechten Händen. Ich
kann sie vielleicht noch brauchen. Fürchtet nichts von mir,
ich bin Euch ja Dank schuldig, dass Ihr mir so herrliche
Gelegenheit gabt, mich an dem Bettelstudenten zu rächen. Ich
schweige wie das Grab, hoffe aber, dass Ihr mir dafür stets
zu Willen sein werdet."
"Von Herzen gern, höchstgnädiger Herr Trabant; alles, was
Ihr befehlet, soll geschehen."
Sie verabredeten sich noch eine Weile bei verschlossener
Türe zu so manchem Schurkenstreiche, der in Anwendung kommen
sollte, dann schieden sie voneinander, und jeder ging an
seine Arbeit.
Inzwischen saßen Wigand und Stibor im Kerker. Ersterer
lachte und machte Witze über ihre Lage; letzterer weinte vor
Zorn und Schmerz und überhäufte seinen Gefährten mit den
härtesten Vorwürfen.
"Drei Tage", jammerte er, "sitzen wir nun schon hier im
tiefsten Kerker bei Wasser und Brot, und noch haben wir
nichts von unserem ferneren Schicksale erfahren. Wenn es
wahr ist, was unser Wächter sagte, dass Ottos Gemahlin noch
an demselben Tage an dem Gifte gestorben und dass Herzog
Albrecht wohl gerettet worden, jedoch für sein Leben gelähmt
sei, hört, dann gebe ich keinen Pfennig für unser Leben. Oh,
hätte ich Euch nie kennen gelernt, so wäre ich nicht in
dieses Unglück gestürzt worden."
"Ihr tätet besser, im Vertrauen auf Gott und im Gefühle
Eurer Unschuld stark und fest, wie ein Mann, das über Euch
gekommene unglückselige Verhängnis zu ertragen, als dass Ihr
weint wie ein kleiner Knabe. Lasst uns nur zum Verhöre
kommen; ich will eher unter den grässlichsten Martern
sterben, als Euch Eure Freundschaft so bitter entgelten
lassen. Haarklein will ich den ganzen Hergang erzählen, wie
ich auf dem Fischmarkte stand und den schönen Fisch sah, wie
Johannes dazukam und -"
"Johannes! Um Gottes willen, sprich, was hatte der bei dir
zu tun?"
"Er riet mir, den schönen Fisch zu kaufen, der so herrlich
für die Tafel der gnädigsten Herzoge passe, und er war es,
der ihn mir dann eigenhändig auf die Schulter laden half."
"Wehe, wehe uns! Dann sind wir sicher verloren, denn wer
sollte sonst den Fisch vergiftet haben?"
"Glaubt doch so etwas nicht. Johannes ist eine boshafte
Kröte, wie gewöhnlich die Leute, welche wegen ihrer
abschreckenden Hässlichkeit von jedermann verspottet und
verhöhnt werden - weshalb man dies nie tun sollte, da man
dadurch ihre edlen Gefühlseigenschaften verdrängt und sie
leicht in Hass und Rachedurst verwandelt; aber er ist doch
Euer Zögling, dem Ihr soviel Gutes getan, den Ihr - wie Ihr
selbst erzähltet - in die Hofburg gebracht und gehalten habt
wie einen Sohn. Wie kann der Euch so das Gute lohnen?"
"Junger Freund, du kennst die Welt zuwenig. Leider kann ich
es als gewiss behaupten. Er war von jeher heimtückisch und
nichtswürdig, machte mir viel Kummer und Verdruss und
versuchte bei allen Gelegenheiten, mich vom Platze und sich
an meine Stelle zu drängen."
"Dann freilich ist er ein schändliches Ungeheuer, das für
die Hölle reif ist! Aber ich werde sprechen, ich hoffe, es
wird Herzog Otto, wie uns mitgeteilt wurde, selbst zu
Gerichte sitzen, er wird den lustigen Studenten gnädig
anhören und Gerechtigkeit üben."
"Lieber Junge, ist es denn schon so gewiss, dass der Herzog
uns selbst verhören wird, ja dass man überhaupt geneigt sei,
uns zu vernehmen? Was weiß unser Wächter, der übrigens ein
teilnehmender Bursche zu sein scheint. Aber die Tat ist
augenscheinlich, ich habe zu viele Feinde - wir müssen
fallen."
"Nein, nein, Gott verlässt die Unschuld nie; werden wir
dieses Mal frei, so gelobe ich heilig, die weltlichen
Vergnügungen zu verlassen und mich dem heiligen
Priesterstande wieder zu weihen, den ich um des Magens
willen so unbesonnen verlassen wollte."
"Was nützt dein schönes Gelübde, gib jede Hoffnung auf; wir
werden niemals frei. - Hörst du nicht den Lärm draußen? Gott
im Himmel, sie holen uns bereits zum Tode ab."
"Nein, nein", jubelte Wigand, "das sind ja Freudenrufe! Gebt
acht, man hat den Täter entdeckt, und wir sind frei!"
Bald rasselten die Schlüssel in der Pforte, und herein trat
der Gefangenenwärter, begleitet von Stibors Freunden, und
voran eilte des Meisterkochs ältestes Knäblein, das
schluchzend sich zu des Vaters Füßen warf und weinend vor
Lust und Schmerz ausrief: "Ich habe ihn gerettet, ich
allein!"
Wirklich war es so. Der Kleine hatte nämlich die
absonderliche Lust, gerade in Johannes' Kämmerlein zu
spielen. Eines Tages hatte er sich, da dasselbe offen stand,
wieder hineinbegeben, als er den Unterkoch kommen hörte.
Früher hatte es ihm der Unterkoch nicht zu verbieten gewagt,
doch jetzt war dessen Unwille zu fürchten, und so kroch der
Knabe in der Angst seines Herzens unter das Bett. Da hörte
er denn die Verhandlungen mit dem Trabanten. Als er später
allein war und sich aus dem Versteck davon machte, lief er
sogleich zu seiner Mutter, welche augenblicklich beim Herzog
Otto einen Fußfall tat und den Schurkenstreich entdeckte.
Johannes und der Trabant Gausrab - dieser ihm von Wigand
angeheftete Spottname war ihm geblieben - wurden eingezogen,
verhört, sie widersprachen sich in ihren Aussagen und wurden
endlich auf der Folter zum Geständnis gebracht. - Sie wurden
hierauf in einen eisernen Käfig eingeschlossen, auf dem
Hohen Markte zur Schau ausgehangen, am vierzehnten Tage aber
auf dem Stephansfreithofe lebendig eingemauert.
Die Gemahlin Herzogs Otto, Frau Herzogin Elisabeth, war am
25. März gestorben; Herzog Albrecht, mit Mühe gerettet,
blieb lahm an Händen und Füßen, daher er noch den Beinamen
"der Lahme" erhielt. Beide Herzöge schenkten den
Unschuldigen ein Schmerzensgeld und ließen sie ihre vorigen
Dienste wieder antreten. Stibor tat dies mit Freuden, aber
Wigand zog sein Bücherleben dem Hofleben vor und verbat sich
die Rückkehr in die Küche. Dafür erhielt er nach vollendeten
Studien die eben erledigte Pfarrei in dem Kahlenbergerdorfe.
Die Einkünfte dieser Pfarrei waren sehr schmal; das
beeinträchtigte aber nicht die gute Laune Wigands, der durch
seine witzigen Possen und heiteren Einfälle als "Pfaff vom
Kahlenberg" für alle Zeiten berühmt geworden ist. Herzog
Otto nahm ihn zu seinem lustigen Rate und behielt ihn bei
sich bis zu seinem Tod. Pfarrer Wigand hat seinen Herrn und
Gönner noch um neun Jahre überlebt.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 19.