Am 17. Juli des unheilvollen Jahres 1683 fiel die
Leopoldstadt in die Hände der Türken. Sobald sich diese
daselbst festgesetzt hatten, erfuhr diese Vorstadt dasselbe
Schicksal, welches die übrigen Vorstädte getroffen hatte.
Kirchen und Paläste wurden in Schutthaufen verwandelt; die
schönsten Gärten, wie die kaiserliche Favorita (Augarten),
wurden vom Grunde aus verheert.
Die kostbarsten Einrichtungen und prächtigsten Hausgeräte
gingen in Flammen auf, weil die Einwohner dieselben nicht in
die Stadt geborgen hatten, da ihnen versichert worden war,
dass diese Vorstadt von der Armee stets besetzt und bedeckt
gehalten würde. Nun bildete die Leopoldstadt für die Türken
einen sehr geeigneten Punkt, von welchem aus sie die Stadt
mit ihren Geschützen auf das wirksamste bestreichen konnten.
Sie gruben von der Jägerzeile herauf bis über die
Schlagbrücke hinaus neue Laufgräben, errichteten an der
Donau und bei der Kirche der Barmherzigen Brüder neue
Batterien, von welchen aus sie die Stadt besonders gegen den
alten Fleischmarkt und das St.-Lorenzo-Kloster durch Bomben
in schwere Nöten brachten.
Am 21. Juli beschoss der Feind die Stadt von der
Leopoldstadt aus besonders heftig; erst bei Nacht ruhten die
Geschütze. Nun brachte ein Reiter des Götzschen Regimentes,
von Enzersdorf kommend, die Nachricht, dass man von dem
Herzoge von Lothringen baldigst Hilfe zu erwarten habe.
Als am 2. August der Feind zu Nussdorf und Klosterneuburg
alle Schiffe und Flöße losmachte und dieselben auf dem
kleinen Arm der Donau herabströmen ließ, häuften sie sich
vor den Bruchstücken der abgetragenen Schlagbrücke so an,
dass man darüber gehen konnte; allein die aus der
Leopoldstadt in die Stadt geflohenen Schiffer bekamen den
Befehl, sie zur Nachtzeit hinwegzuräumen, was sie trotz des
heftigen Feuers der Türken zur Ausführung brachten.
Einem Bürger, der beim Herannahen des Feindes aus der
Leopoldstadt in die Stadt geflohen war, ging diese Tat der
wackeren Schiffer so zu Herzen, dass er sich vornahm, der
Stadt ebenfalls durch heldenmütige Aufopferung zu dienen.
Da er, obwohl Pole von Geburt, hinlängliche Kenntnis von
Sprache und Sitten der Türken hatte - er war ja ehemals
Dolmetsch bei der orientalischen Kompagnie gewesen -, bot er
sich dem Stadtkommandanten als Kundschafter an. Das
Anerbieten wurde bereitwilligst angenommen, und Kolschitzky,
so hieß der wackere und mutige Mann, unternahm in Begleitung
seines Dieners Michalovitz, der ebenfalls Sprache und Sitten
der Türken kannte, am 6. August nachts zwischen 10 und 11
Uhr, in türkische Kleidung gehüllt und mit Briefen an den
Herzog von Lothringen versehen, seinen ersten schweren Gang
durch das Lager der Feinde.
Graf Guido v. Starhemberg, der Adjutant des
Stadtkommandanten, gab dem mutigen Wiener Bürger durch das
Schottentor bis zu den Palisaden hinaus das Geleite und ließ
es auf dem Wege dahin an guten Ratschlägen nicht fehlen.
Schließlich verabschiedete er sich von Kolschitzky mit dem
Wunsche, dass die wichtige Sendung, welche er zum Wohle der
Stadt Wien nun auszuführen bereit war, gelingen möge.
Es erhob sich nun ein gräuliches Wetter; es stürmte, blitzte
und donnerte fürchterlich; doch Kolschitzky und sein
Gefährte gingen unverdrossen weiter und gelangten bis an das
Lazarett in die Währinger Straße, wo sich schon das
türkische Lager befand. Weil aber der heftige Regen anhielt,
setzten sie sich unter einem Baume nieder und erwarteten den
anbrechenden Tag. Sobald es Licht geworden war, gingen sie
unerschrocken durch das feindliche Lager, und Kolschitzky
sang ein türkisches Liedchen, um bei den hin und wieder
gehenden und reitenden Türken keinen Verdacht zu erregen.
Er kam nun an dem Zelte eines Aga (bei den Türken ein
Aufseher, Befehlshaber, Anführer) vorüber, der ihn zu sich
rief, ihn seiner nassen Kleidung wegen bedauerte und ihn
fragte, woher er käme und wem er diene. Kolschitzky
antwortete ganz unbefangen, dass er ein Belgrader Kaufmann
sei, der mit seinem Diener dem türkischen Heere gefolgt wäre
und sich damit befasse, den Türken Lebensmittel zu liefern.
Der Aga ließ ihm hierauf Kaffee reichen und entließ ihn mit
der Warnung, sich nicht zu weit vorzuwagen, um nicht den
Christen in die Hände zu fallen. Kolschitzky beurlaubte sich
dankend bei dem Aga und nahm seinen Weg, den türkischen
Truppen vorsichtig ausweichend, durch den Wald und die
Weinberge gegen Klosterneuburg. Weil er aber nicht wusste,
ob Freund oder Feind hier hause, so kehrte er nach dem
Kahlenbergerdorfe zurück. Auf der gegenüberliegenden Insel
gewahrte er Einheimische, denen er winkte. Weil diese aber
in ihm und seinem Diener der Kleidung wegen Türken
vermuteten, so schickten sie ihnen als Antwort einige
Schüsse herüber, die zum Glücke das Ziel verfehlten.
Kolschitzky rief nun in deutscher Sprache, dass sie Christen
seien und von Wien kämen.
Sogleich wurden nun beide auf die Insel übergefahren, wohin
sich der Richter von Nussdorf und einige seiner Nachbarn vor
den Türken geflüchtet und nachdem sich die beiden
vermeintlichen Muselmänner durch einen Pass legitimiert
hatten, wurden sie schnellstens auf das linke Donauufer
befördert. Von da ging es rasch ins kaiserliche Lager,
welches zwischen Angern und Stillfried stand; hier wurden
Kolschitzky und sein Diener sehr freundlich aufgenommen und
reichlich bewirtet. Der Herzog von Lothringen nahm huldvoll
die Briefschaften entgegen und versprach, dem Überbringen
derselben am frühesten Morgen ein Antwortschreiben
einhändigen zu wollen.
Der Abend war unterdessen herangekommen; den beiden wackeren
Männern wurde in einem Zelte eine Lagerstätte angewiesen,
damit sie ihre müden Glieder durch einen gesunden Schlaf für
die morgige Reise zu stärken vermochten. Im Lager wurde es
nach und nach ruhig, alles zog sich in die Zelte zurück, nur
die auf und ab gehenden Posten unterbrachen die fast
unheimliche Stille.
Kolschitzky stand noch vor seinem Zelte, seine Blicke in der
Richtung gegen Wien gewendet. Von einem Offizier befragt,
warum er noch nicht sein Lager aufgesucht habe, antwortete
er, dass er noch ein Signal von Wien erwarte, welches um 10
Uhr erfolgen solle. Er habe nämlich die Verabredung
getroffen, seine erfolgte glückliche Ankunft im kaiserlichen
Lager durch eine Raketengarbe anzuzeigen; eine solche habe
er gestern nachts bei Stammersdorf abgebrannt, aber noch sei
keine Erwiderung von seiten der Stadt Wien sichtbar
geworden.
Da traf der Offizier die Anordnung, dass einige Raketen
abgebrannt wurden, und siehe, es dauerte nicht lange, so
stieg vom Stephansturme aus über Wien eine mächtige
Feuergarbe empor, die man im Lager wohl bemerken konnte.
Jetzt war Kolschitzky zufrieden und begab sich zur Ruhe.
Am frühesten Morgen des 17. August wurde ihm ein Schreiben
des Herzogs von Lothringen eingehändigt, welches den Trost
erhielt, dass die Hilfstruppen täglich näher anrückten,
Pressburg von den Österreichern erobert und ein doppelter
Sieg über Tököly erfochten sei. Er und sein Diener traten
den Rückweg an, wären aber bald in die Hände der Feinde
geraten. In Nussdorf krochen sie teils aus Besorgnis, von
den türkischen Posten entdeckt zu werden, teils des heftigen
Regenwetters wegen in einen Keller, wo Kolschitzky großer
Ermüdung halber einschlief, mährend Michalovitz Wache hielt.
Bald erwachte der Schlummernde wieder, und Herr und Diener
verabredeten miteinander, was nun zu tun sei.
Da kam ein türkischer Soldat die Stiege herunter und, da er
reden hörte, so machte er wieder "kehrt um", damit er nicht
etwa von seinesgleichen in einem Weinkeller (der Koran, das
heilige Buch der Mohammedaner, verbietet den Gläubigen das
Weintrinken) gesehen werde. Darüber waren die beiden
geängstigten Flüchtlinge herzlich froh. Sie brachen wieder
auf und gelangten glücklich in Wien an, wo sie mit Freuden
empfangen wurden. Ihre glückliche Ankunft wurde der Armee
jenseits der Donau durch Raketen angezeigt.
Kolschitzkys Diener Michalovitz gelang es noch zweimal,
unverletzt durch das türkische Lager zu kommen. Das
letztemal bei seiner Rückkehr gesellte sich ihm ein
türkischer Reiter bei, mit dem er sich in vertrautes
Gespräch einließ; Michalovitz war nun in Gefahr, von seinem
Gesellschafter in das türkische Lager gebracht zu werden;
deshalb hieb er ihn, ehe derselbe es sich versah, nieder,
bestieg dessen Pferd, sprengte davon und kam glücklich in
die Stadt.
Die Stunde der Rettung sollte nun auch für das belagerte
Wien schlagen.
Am 11. September um Mitternacht war das christliche Heer auf
dem Saume des Kahlenberges angekommen; mit der Morgenröte
des 12. stieg es am östlichen Abhang den Berg hinunter. Die
Schlacht begann nun auf dem linken Flügel; bei Nussdorf, bei
Dornbach und auf der heute noch kennbaren Türkenschanze bei
Weinhaus war der Kampf am hartnäckigsten. Endlich wichen die
Türken auf allen Punkten zurück. Gegen 5 Uhr abends drangen
die ersten christlichen Truppen bis in die Roßau vor und
eine halbe Stunde später auch in das feindliche Lager.
Allgemein war die Flucht der Türken; der Großwesir rettete
mit genauer Not die Fahne des Propheten. Nun ging es in
wilder Flucht bis Raab, wo sich das geschlagene Heer wieder
sammelte.
Groß war der Jubel in Wien, groß die Beute der Sieger und
groß der Lohn, mit dem Kaiser Leopold I. die tapferen
Verteidiger Wiens bedachte.
Graf Rüdiger Starhemberg wurde zum Feldmarschall erhoben,
mit einem kostbaren Ringe und hunderttausend Reichstalern
beschenkt, auch erhielt er den Stephansturm in sein Wappen.
Die Glieder des Stadtrates und der Bürgerschaft, welche sich
besonders hervorgetan hatten, erhielten goldene Ehrenketten
und den Titel kaiserliche Räte. Dem wackeren Kolschitzky
wurden die im Lager erbeuteten Kaffeevorräte als Eigentum
zugesprochen; auch erhielt er die Erlaubnis, das erste
Kaffeehaus in Wien errichten zu dürfen.
Auch der Stadtrat zeigte sich dankbar gegen diese Männer;
Starhembergs Haus in der Stadt wurde von allen Abgaben
befreit; Generale und Offiziere wurden ebenfalls mit
Geschenken reich bedacht, Kolschitzky erhielt das Haus Nr.
30 in der Leopoldstadt zum Geschenk.
Unter den Verteidigern der Stadt befand sich auch der
Bischof Kollonitz, welcher eine wahrhaft segensreiche
Tätigkeit entfaltete. Er war freiwillig von seinem
Bischofssitze Wiener Neustadt herbeigeeilt, um Wien zur Zeit
der Not beizustehen. Während der Kommandant der Stadt die
Verteidigung derselben überwachte, nahm sich der edle
Bischof der armen Kranken und Verwundeten an und sorgte
dafür, dass in den Spitälern alles angewendet wurde, was
deren Leiden mildern konnte. Täglich besuchte er die
Spitäler selbst und sprach den Verwundeten und Sterbenden
Worte des Trostes zu. Als endlich die schwere Prüfungszeit
für Wien vorüber war, nahm er mehrere hundert arme Kinder,
deren Eltern die grausamen Türken getötet oder weggeschleppt
hatten, zu sich und ließ dieselben auf seine eigenen Kosten
erziehen und unterrichten. Ein so wohltätiges Wirken wurde
von allen Menschen gepriesen, und für immer bleibt der Name
Kollonitz mit der Geschichte der zweiten Wiener
Türkenbelagerung verknüpft.
Indessen Wien im Siegesrausche jubelte, harrte der Sultan in
Belgrad der ersehnten Kunde von dem Falle Wiens. In
Adrianopel, in Stambul wurden schon großartige Vorarbeiten
getroffen, um die Truppen zu empfangen.
Daher wollte es niemand wagen, dem Großherrn die Nachricht
von der Niederlage seines Heeres zu hinterbringen; endlich
musste er doch davon Kunde erhalten, und einer seiner
Günstlinge übernahm das undankbare Geschäft der Mitteilung.
Da bemächtigte sich des Sultans eine unbeschreibliche Wut;
er gab in seiner ersten Aufregung den Befehl, dass alle
Christen im Osmanischen Reiche getötet werden sollten; es
kam jedoch nicht zu diesem Blutbade, bei ruhigerer
Überlegung nahm er den grausamen Befehl wieder zurück, mit
dessen Ausführung seine Untergebenen zum Glücke für die
Christen gezögert hatten.
Dem Günstling des Großherrn, Kara Mustapha, gelang es noch
für dieses Mal den Sturm von seinem Haupte abzuwenden, doch
entging er später seinem Schicksale nicht, der Fall von Gran
kostete ihn das Leben.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 296, Bilder: gemeinfrei und www.nikles.net.
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