Wenige Tage vor dem heiligen Weihnachtsfeste des Jahres
1226 befanden sich mehrere angesehene Bürger und Ratsherren
der Stadt Wien in der Behausung des reichen Neidhard aus der
wohledlen Bürgerfamilie der Pippinger. Sie saßen in der
Prunkstube des Hauses beisammen und pflogen eifrige
Beratung, wie man einer schweren Schädigung der
Bürgerinteressen erfolgreich begegnen könne.
"Und ich sage euch, so kann es nicht länger gehen!" warf
unmutig Hans Kapeller, ein wohlhabender Kaufherr, ein. "Es
muss anders werden, sollen wir nicht zusehen, wie allen
Gewinn zugewanderte Leute einheimsen, indes wir selbst trotz
redlichen Bemühens auf keinen grünen Zweig kommen können,
trotzdem wir angestammte Wiener Bürger sind."
"Er ist mit seiner Behauptung im Rechte!" bekräftigte Ulrich
Stettinger, der Wildwerker. "Schaut nur das Treiben der
Münzer an. Sind wir nicht durch sie ganz an die Wand
gedrückt, seit ihnen der liebe Herzog seine alte Burg auf
dem Hofe eingeräumt hat? Wer macht die einträglichsten
Geldgeschäfte nun?"
"Die Flandrenser!" riefen die übrigen wie aus einem Munde.
"Was brauchen wir die Fremden, gar solche aus Flandern?"
fuhr jener fort. "Das Münzgeschäft hätten wir Wiener auch
verstanden. Dazu sind unsere Köpfe hell genug!"
Und Kaspar Huber, der Goldschmied, fügte hinzu:
"Bereitwillig schießen sie den Edelleuten zu niedrigem
Zinsfuße ihre Summen vor, und wir können zusehen, wie wir
die alten verbrieften Schulden, die jene in früheren Zeiten
bei uns gemacht, hereinbringen. Wer bürgt uns überhaupt
dafür, dass wir jemals wieder zu unserem Gelde kommen?"
"Wir haben wahrlich der Welschen genug. Wer es nicht glaubt,
der besehe sich die Wallachgasse. Man glaubt, rein in Babel
zu sein, wenn man dort einhergeht, und nicht in Wien. Nette
Wiener Bürger das!"
So spöttelte Reginhart, ein Meister der Bäckerzunft und
wohlweiser Ratsherr.
"Nicht genug an dem", warf nun Pippinger ein, "dass sie bei
uns ihren Wohnsitz aufgeschlagen, hat den Münzern am Hofe
der liebe, viel zu gütige Herzog noch alle Rechte unserer
Bürgerschaft zugesprochen und sie außerdem noch als seine
'Hausgenossen' unter die herzogliche Gerichtsbarkeit
gestellt. Ich sage euch, Freunde, sie tragen ihre Nasen
deshalb so hoch, weil sie glauben, sie stünden deswegen über
uns. Aber, bei Gott, ich will es nicht länger ertragen.
Lasst nur die liebe Weihnachtszeit vorüber sein, dann will
ich schon Wandel schaffen. Ich, der alte Pippinger, sage
es!"
Ein kleines, schmächtiges Männlein mit blitzenden Augen und
langem Knebelbarte hatte bis nun geschwiegen. Das war
Florian Buff, Vorsteher der Schneiderinnung. Er sprang auf
und rückte ungestüm den schweren Eichensessel zur Seite, so
dass die anderen verwundert, fast mit einem Lächeln um die
Lippen, zu ihrem Freunde aufsahen.
"Ich hab's, werte Genossen!" rief er, und eine Röte des
Zornes flammte über sein blasses Gesicht. ?Wir liegen dem
Herzog an und fordern, dass wir unsere Schulden bei Heller
und Pfennig mit unnachsichtiger Strenge eintreiben dürfen!
Haben wir unser gutes Geld, dann sind wir die Herren; denn
wir können uns rühren und sind nicht mehr an gute Worte und
scheinheilige Meinung anderer angewiesen. Und erreichen wir
dies nicht gutwillig, dann alle Mann vor! Ich habe Mut!"
Erregt schlug er mit seinem winzigen Fäustlein auf den Tisch
und blickte siegestrunken umher, als fühlte er das
Bewusstsein, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. Doch
gleich seufzte er wehmütig auf: "Wenn's nur nicht unser
lieber Herzog wäre! Aber das ist es ja, was uns die Hände
bindet. Es gibt keinen Wiener, der ihn nicht wie einen Vater
liebte. Da heißt es was, von Gewalt reden, wo ein einziger
Blick aus seinen guten Augen uns zu seinen Füßen hinwirft!"
"Wacker, Meister Buff, wacker!" So riefen seine Freunde und
schmunzelten wohlgefällig, worauf Meister Pippinger sprach:
"Ihr seid doch immer der Klügste unter uns, und an Eurem
Mute ist nicht zu zweifeln. Was Ihr zuerst gemeint, das hat
Hand und Fuß und das soll auch geschehen. Wie ich unseren
Herzog kenne, liebt auch er seine Wiener von ganzem Herzen,
und er wird es sicher erkennen, wo uns der Schuh drückt, und
uns deshalb sicher ein williges Gehör schenken, wenn wir
unsere Bitte ihm vortragen in gebührender Ehrfurcht. So
unrecht hat Meister Buff nicht. Es ist ein alter Spruch: Das
Geld macht den Mann. So aber richten wir uns zugrunde, wenn
wir auf Zins und Summe schön warten und wie dumme Schäflein
nachblicken, wenn uns die hergesiedelten Welschen die besten
Brocken wegschnappen. Ja, ja, der Herzog muss helfen. Kommt
Zeit, kommt Rat! Ich will die beste Gelegenheit ergreifen,
ihm unsere Meinung beizubringen, sintemalen er wieder unter
seinen Bürgern weilt. Seid ihr desselben Willens, ehrsame
Freunde, so gebt es zu erkennen."
"Freilich, Meister Pippinger, Ihr habt unser Vertrauen, und
am besten unter allen von uns wisst Ihr eine Rede zu setzen.
Sprecht nur, sobald Ihr den Augenblick für gekommen
erachtet. Unserem Herzog wollen wir nicht wehe tun." So
endete das wackere Schneiderlein die Beratung. Leichten
Herzens trennten sich die wieder beruhigten Bürger, hatten
sie doch den Weg gefunden, wie sie ihrer Notlage abhelfen
konnten, und außerdem beglückte sie das Gefühl, dies zu
erreichen, ohne den geliebten Herrscher zu betrüben oder den
Frieden der Stadt, der ihnen wohl am meisten am Herzen lag,
zu gefährden. Ja, ja, das gute, fürsorgliche Herz, heute
nennt man es oft das goldene, besaßen die Bürger Wiens schon
damals, aber auch den gerechten Stolz auf ihr verbrieftes
Bürgertum.
Reges Leben herrschte in den winkeligen und schmalen
Straßen, die von kleinen, selten mehrstöckigen, aber stets
hochgiebeligen Häusern gebildet wurden. Dennoch besaßen
diese ein wohlgefälliges Äußeres, da die Baumeister es
verstanden, durch Erkertürmchen und vorspringende Balkone
diesen ein schmuckes Ansehen zu verleihen. Der Tag des
Heiligen Abends war gekommen. Da ruhten die Gewerbe. In der
Traibotenstraße, wo die Waffenschmiede ihren Sitz hatten,
war das eifrige Gehämmer verstummt, und auch in der sonst so
geräuschvollen Nadlergasse hatten die Schmiede, Klempner und
Schlosser ihre lärmende Tätigkeit eingestellt. Auch das
eintönige Rufen und Anpreisen der umherziehenden Verkäufer
verschiedener Lebensmittel störte nicht mehr, es lag
vielmehr auf Straßen und Plätzen jene erhabene
Weihestimmung, wie sie eben stets einem großen Jahresfeste,
insbesondere aber dem Weihnachtsfeste, vorauszugehen pflegt.
Dafür gab es aber auch mehr Menschen außerhalb ihrer
Behausungen. Der ehrsame Bürger schritt mit Weib und Kind
dahin; die weitfaltigen farbenreichen Kleider standen den
kräftigen Gestalten wohl an. So manche Pflichten gab es an
diesem Tage zu erfüllen, unter denen nicht die geringste
jene war, in den verschiedenen Gotteshäusern durch
erbauliche Andacht die eigentliche Festfeier würdig
einzuleiten. Anderseits mussten auch die verschiedenen Buden
besichtigt werden, besonders jene auf dem Petersplatze vor
der Peterskirche, die freilich damals mit ihren zwei
schlanken Türmen ganz anders aussah denn heute. Da gab es
einen förmlichen Markt, wo Christgaben der verschiedensten
Art zum Ergötzen der kleinen und großen Menschen in reicher
Auswahl feilgeboten wurden. Gar manches Kind betrachtete in
naiver Bewunderung die zierlich geschnitzten Krippen, in
denen das wächserne Figürchen des Jesukindes mit einem
großen Strahlenkranze auf weichem Waldmoose lag, oder die
mit Flimmergold überzogenen Nüsse und Früchte, die so
verlockend ausgebreiteten Schätze aus süßem Lebkuchen in
mannigfachen Formen, oft mit farbigen Zuckerstreifen bunt
bemalt, die niedlichen Christbäumchen, an denen allerliebste
Kringlein und Brezel hingen, oder an anderen Orten die
beliebten Spalten des Dörrobstes, die begehrlich duftenden
und durch ihren schimmernden Glanz lockenden gedörrten
Pflaumen und wie alle die kleinen Herrlichkeiten hießen, mit
denen schon damals die Väter ihren Lieben Freude bescheren
wollten. Da wurde dann eifrig gefeilscht und gekauft, die
Händler hatten alle Hände voll zu tun, um die oft gar
seltsamen Wünsche der Kunden zu befriedigen, und mancher
Packen wurde endlich mit freudestrahlenden Gesichtern
heimgetragen. In dem Gewühle der Bürger sah man nicht selten
die vornehme Gestalt eines Edelmannes, der gern durch seine
prächtige, mitunter kostbar geschmückte Gewandung, Wams und
Ärmel zierlich gepufft und geschlitzt, die Bewunderung der
Leute auf sich zog. Auch unter den Lauben auf dem
Hohen Markte gab es verschiedene Laden mit
Weihnachtsherrlichkeiten, und auf dem Fleischmarkte hatten
die Fleischer ihre Braten, gar sorglich ausgeschmückt, zur
Schau gestellt, nicht zu vergessen der Bäcker, die
reichlicher als zu anderer Zeit des Jahres ihre Bäckereien,
die beliebten Stollen und Flecken, die Wecken, Mohnringel
und Salzbrezel angefertigt. Besonders lebhaft ging es auf
dem Hohen Markte zu, der Schranne gegenüber, wo die Fischer
und Krebser ihre heute sehr stark begehrte zappelige Ware
feilhielten, und so manche Hausfrau schritt beglückt von
dannen, wenn es ihr gelungen war, in dem Gedränge einen
stattlichen Karpfen für ihren Familientisch zu erobern.
So verging der Morgen, die Glocken verklangen, die
Mittagsstunde brachte den Händlern die ersehnte Erholung.
Doch mit der Vesper kam neuerdings regeres Leben wieder auf
die Straßen. Dazu fing es an, leise zu schneien, bis endlich
in ziemlich dichtem Gewirre die lieben schimmernden
Schneeflocken hernieder tanzten und auf Giebel und Türme,
Straßen und Gassen das weihnachtliche Festkleid legten. Die
Sonne versank eben in rot glühenden Schleiern hinter dem
Kahlengebirge und kündigte mit ihrem Scheiden an, dass nun
bald das liebe Christkindlein seinen großen Gnadenflug
beginnen werde, um all denen, die eines guten Willens seien,
das große Glück des Friedens und der Liebe in das lauschende
Herz zu versenken.
Da schritten, wohlvermummt, die weiten Mäntel sorglich um
die Schultern geschlagen, zwei Männer den Kohlenmarkt hinab,
den Tuchlauben und dem Hohen Markte zu; ein großer Mann war
der eine, mit gewichtigen Schritten ausgreifend, und neben
diesem ein kleiner, zierlicher der andere, eilfertig
trippelnd und nur mühsam den Gefährten einholend.
"Nun wisst Ihr's, Meister Buff", beendete der alte Pippinger
seine Rede, "heute soll der ersehnte Augenblick kommen. Aus
sicherer Quelle hab' ich es, dass Herzog Leopold des Abends
durch die Stadt reiten werde, um inmitten seiner Wiener das
Weihnachtsfest zu feiern. Mitfreuen will er sich, wenn er
durch die erleuchteten Fenster die Freude seiner Getreuen
inne wird. Ach, er ist ein gar lieber Herr, den uns Gott
noch lange erhalten möge. Da hab' ich mir einen köstlichen
Plan ausgesonnen."
"Ach, sagt ihn mir, viellieber Freund, ich will schweigen
wie das Grab." So bat das zierliche Schneiderlein.
"Das ist nicht nötig, im Gegenteil, je mehr davon wissen,
desto besser. Nur lasst uns beizeiten das Rathaus erreichen,
wo die Ratsherren alle auf meine Bitte versammelt sind. Da
sollt Ihr alles erfahren."
Endlich war das Ziel erreicht, und Meister Buff seufzte tief
auf und wischte den Schweiß von der Stirn. "Gott sei Dank,
dass wir hier sind. Ihr lauft, Gott erbarme sich meiner,
dass es mir völlig den Atem verschlägt, will ich mit Euch
Schritt behalten. Aber so ist es immer, wenn man große
Freunde hat."
Pippinger lächelte, schüttelte den Schnee von den Kleidern
und schritt in den Hausflur, um gleich darauf mit seinem
erhitzten Genossen in die hell erleuchtete Ratsstube zu
treten, wo die übrigen Herren bereits versammelt waren. Die
Zeit drängte, und daher begann Meister Pippinger, ohne erst
seinen Rock abzulegen: "Vielliebe Freunde und Genossen im
weisen Rate der Stadt! Wir alle und jeder gute Bürger der
Stadt lieben und verehren unseren gütigen Herzog. Nicht
besser können wir ihm unsere Liebe beweisen, als wenn wir
den heutigen Abend nicht verstreichen lassen, ohne ihm eine
Überraschung zu bereiten, wenn er, wie er meint, ungekannt
und heimlich durch die Stadt reitet. Vor dem Tore zu St.
Stephan wollen wir ihn alle zusammen festlich empfangen und
ihm unsere Geschenke überreichen, jede Innung nach ihrer
Weise. Nehmt den Vorschlag an, Freunde, und denket der
väterlichen Fürsorge, die er stündlich und täglich seinen
Wienern zuteil werden lässt."
"So ist's, Meister Pippinger! Prächtig! Die ganze Stadt muss
ihm ihre Huldigung darbringen! Das wird eine wahrhaft selige
Weihnacht!" So klang es von allen Seiten in frohsamer
Erregung, und die Leute schüttelten dem Alten die Hand.
"Das habt Ihr gut gemacht!" raunte Meister Buff seinem
Freunde zu. "Doch gedenket unserer Abmachung, Pippinger."
"Ich will sie nicht vergessen, wenn der Augenblick günstig
ist." So flüsterte er zurück und laut rief er: "An die
Arbeit, wackere, wohledle Herren, wir müssen uns sputen,
soll alles recht gelingen. Hoch lebe Herzog Leopold!"
Jubelnd stimmten die Bürger in den Ruf ein und verließen die
Stube, die nötigen Anstalten zu treffen. Still lag wieder
das Rathaus da, und der Schnee wirbelte seinen Reigentanz
weiter. Doch allmählich lichtete sich der Himmel, nur
einzelne Flocken tanzten leise hernieder, und als auch diese
verschwunden, lächelte der Mond mit tausend und abertausend
Sternen über die weißen Dächer und wob einen zauberhaften
Schimmer über die glitzernden Schneekristalle.
Nun war der Heilige Abend angebrochen. Nur einzelne Wanderer
schritten die Straße entlang, hie und da ein Kriegsknecht,
der ein eigenen Heim vermisste, zugewanderte
Handwerksburschen, denen ein Anschluss noch mangelte, oder
ein Nachtwächter, der mit Partisane, Horn und Laterne
bedächtigen Schrittes seines Amtes waltete. Sie warfen alle
neugierige Blicke auf die Häuser, denn in diesen entfaltete
sich nun ein geschäftiges Treiben. Die kleinen Fensterchen
leuchteten auf. Hinter den zierlichen, in Blei gefassten
Butzenscheiben der vornehmen Häuser, wie hinter den mit Öl
getränkten Pergamentblättern oder den Scheiben von
Marienglas der ärmeren Hütten ward es mit einem Male hell.
Öllämpchen und Kerzen wurden angezündet, und um ihren
trauten Schein versammelte der Hausvater seine Lieben. Da
gab es Freude und Jubel überall. Er klang bis auf die
stillen Straßen hinaus, frohsames Jauchzen hier, heller
Kindergesang dort. Der Weihnachtsengel hatte seinen
beglückenden Flug unternommen und selige Stimmung über Wien
verbreitet.
Da öffneten sich die Tore der neuen Herzogsburg, die erst
vor kurzem nicht weit vom Kohlenmarkte erbaut worden war,
und über die Zugbrücke, die den Burggraben überdeckte,
ritten mehrere Reiter. Es war Herzog Leopold mit einigen
seiner ritterlichen Freunde. Er saß auf einem prächtigen,
blühweißen Rosse, das mit purpurrotem Lederwerke aufgezäumt
war. Gebiss und Steigbügel schimmerten golden im hellen
Mondschein. Der Herzog trug ein helles, enganschließendes
Wams, dem vorn auf der Brust das Wappen der Babenberger
kunstvoll eingestickt war, ebensolche enganliegende
Beinkleider, und die Füße staken in Schuhen, die kostbares
Pelzwerk verzierte. Ein mit Hermelin verbrämter Purpurmantel
floss in weiten Falten von den Schultern nieder, und auf dem
Kopfe saß ein köstliches Barett, von weichem Pelzwerk
umrandet und geschmückt mit roten und weißen Straußenfedern.
Über der Brust funkelte die herrliche Herzogskette, und an
der Seite hing das mit köstlichen Edelsteinen besetzte
Schwert. Das von langen Locken umwallte Gesicht des Herzogs,
aus dem die lieben gütigen Blauaugen blitzten, drückte eine
heitere Freude aus, wie er jetzt in die hell erleuchteten
Fenster seiner getreuen Wiener blickte. Er mäßigte den
Schritt seines feurigen Rosses, denn er wollte gemächlich
die Freude seiner Untertanen schauen. Da wandte er sich an
seinen nächsten Begleiter.
"War es nicht ein guter Gedanke von mir, lieber Hademar von
Kuenring! Sagt es selbst. Gibt es etwas Köstlicheres als
Eintracht und Frieden unter den Menschen und zu sehen,
welche Wunder sie wirken?!"
"Bei Gott, Herr, Ihr habt recht!" stimmte dieser zu.
"Wunderlich genug schlägt mir altem Kriegsmanne das Herz
unter dem Panzer, da ich den Segen Eurer Liebe staunend
betrachte. Wahrhaftig, der Wiener hat Ursache genug, Euch zu
lieben und Eure milde Hand zu preisen."
"Daran lassen es meine guten Wiener nicht fehlen, es ist,
als wollten sie mit ihrer Liebe mir Ersatz dafür bieten,
dass ich von anderer Seite Leid und Kümmernis genug erdulden
muss."
"Ach, Herr, gedenkt in dieser Stunde dessen nicht; begütigte
der Ritter den Herzog, als ahnte er dessen aufsteigenden
Schmerz.
"Und sollte ich es nicht, gerade zu dieser Zeit? Schaut nur
um Euch! Hält nicht jeder Vater sein Kindlein umschlungen in
überwallender Herzensfreude? Wie weh muss es mir sein, zu
wissen, dass fern von mir ein missratener Sohn dem Vater
grollt. Ach, Heinrich, welchen Schmerz bereitest du mir
heute?!"
"Grämt Euch nicht, Herzog, noch ist er kein verlorener Sohn.
So manches Herz, das in brausendem Zorne aufgeschrien und
vermeintliche Fesseln zerrissen, schlägt wieder guten Sinnes
und mild, wenn die Zeit reiferes Verständnis gebracht."
"Gott gebe es, doch habe ich selbst die Hoffnung verloren."
Bekümmert schloss der Herzog die Rede und versank in stilles
Träumen, indes er dem Rossmarkte zuritt.
Aber Herzog Leopold war nicht unbemerkt geblieben. Das
Gepolter der Rosseshufe in stiller Nacht, das Geklirre der
Waffen wie des Rüstzeuges der Tiere hatte doch Aufsehen
erregt. Manch Fenster öffnete sich, und manch neugieriger
Kopf forschte nach der Ursache des Lärmens auf der Straße.
Die Leute erkannten den geliebten Landesfürsten und eilten
trotz des Abends auf die Straße und begrüßten den Herzog mit
lauten Zurufen. Mit einem Male war es in den öden Straßen
wieder lebendig geworden. Von des Herzogs Stirn war die
düstere Wolke des Unmutes wie verflogen, als er bemerkte,
wie die Schar sich immer vergrößerte und endlich von allen
Fenstern und Türen ihm die Leute zuwinkten und zujubelten.
Nur langsam vermochte er in dem förmlichen Gedränge vorwärts
zu kommen, das ihm auf seinem Umzuge zu folgen schien. Eben
wollte er zur Stephanskirche nach links abbiegen, als er
unwillkürlich den Schritt seines Rosses hemmen und anhalten
musste. Ein überraschender Anblick bot sich seinen
erstaunten Blicken dar, einzig in seiner Art, ein Bild, wie
es selbst seine Augen noch nie erschaut. Eine Volksmenge, so
weit sein Auge reichte, Kopf an Kopf, groß und klein, arm
und reich, füllte den Platz und vor derselben, im Halbkreise
aufgestellt, die vornehmsten Bürger der Stadt, welche auf
bunten Polstern in flachen Reisigkörben kostbare Geschenke
trugen. Ihnen zur Seite standen minnigliche Jungfrauen,
selbst kleine Knaben und Mädchen und hielten zierliche, mit
Bändern und Lichtern geschmückte Tannenbäumchen in den
Händen. Und längs der Häuser standen Männer mit mächtigen
Kienfackeln, deren rotes Geflacker einen magischen Glanz auf
die vielen Gestalten warf.
Als der Herzog sichtbar geworden, da brach die Menge in den
vieltausendstimmigen Ruf aus: "Hoch lebe Herzog Leopold!
Hoch! Hoch! Hoch!" Des Jubelns wollte kein Ende nehmen, und
von allen Fenstern, Giebeln und Erkern winkten Jungfrauen
und Kinder mit wehenden Tüchlein und Fähnlein zu. In tiefer
Erregung sah Herzog Leopold auf das bunte Gewoge. Er war ob
dieser Überraschung seiner Wiener keines Wortes mächtig.
Einen stummen, aber beredten Blick warf er auf seinen
Begleiter, der ihm lächelnd zuwinkte, als wollte er sagen:
Sehet, wie der liebe Gott Euer Leid vergessen macht. Da trat
der greise Pippinger vor, entblößte sein Silberhaar und
winkte. Sofort verstummte das Freudengeschrei, und tiefe
Stille trat an dessen Stelle. Es war ein erhabener
Augenblick.
Sich vor dem Herzog verneigend, hub er an:
"Hochedler Herzog, gnädigster Landesfürst! Als wahrer Vater
sorgt Ihr voll Huld und Gnade für Eure Untertanen und teilet
gern deren Leiden und Freuden. Seht um Euch, hoher Herr, und
empfanget des heißesten Dankes Zoll aus allen Blicken.
Nehmt, glorreicher Herzog, die schlichten Gaben Eurer
Wiener, die sich in liebender Treue hier vereinigten, als
ein geringes Zeichen ihrer Dankbarkeit. Gott gebe es, dass
Ihr und Euer Geschlecht noch lange uns regiert. Wir bieten
Euch ehrfurchtsvoll fröhlichen Weihnachtsgruß! Heil, Herzog
Leopold!" Und wieder stiegen brausende Rufe zum nächtlichen
Sternenhimmel empor, und die Leute drängten herzu, die Hand
des gütigen Herzogs zu küssen, den Saum seines Gewandes zu
berühren, den milden Blick aus seinem Auge zu empfangen.
Eine mächtige Bewegung hatte das Herz des Fürsten erfasst.
Tränen der Rührung waren in seine Augen gedrungen, und
schmerzlich bewegt zuckte es um seine Lippen. Vordem in
herbes Vaterleid versunken und nun so hehre Vaterfreude! Er
konnte nur mühsam seiner Ergriffenheit Herr werden. In
herzlicher Freude betrachtete er die vielen Gaben, die man
ihm auf so sinnige Weise dargeboten. Und als er endlich
halbwegs wieder seine Fassung gefunden, da war sein Herz
übervoll der Gnade. Auf seinen Wink lauschte die Menge.
"Meine wackeren Wiener Bürger! Nehmt meinen fürstlichen
Dank, ihr, meine Getreuen! In opfernder Liebe vergeltet ihr,
was ich zu geben allzeit bemüht war. Merket, nicht die Gabe
ist es, die so erfreut, nein, der gute Sinn, der die Herzen
edelt. Zum Angedenken an diesen schönen Tag der Liebe will
ich euch auf der Stelle eine Bitte gewähren, so ich es
vermag und meine Kräfte reichen."
Da jubelte ihm abermals das Volk zu, und lautes
Stimmengewirr machte sich geltend. Da trat neuerdings
Meister Pippinger, nachdem er mit seinem Freunde Buff einen
bedeutungsvollen Blick gewechselt, vor und sprach in tiefer
Erregung, jedes seiner Worte mit fester Kraft betonend:
"Gütiger Herzog! Eure Huld allein ist uns der Freude genug,
um Euch anzuhängen in treuer Ergebenheit für alle Zeiten.
Doch da Ihr eine besondere Gnade uns erweisen wollet, so sei
Euch ein schweres Anliegen kund, das unsere Herzen längst
arg belastet. Nehmt uns Wiener in Schutz vor den Fremden,
den Flandrensern und welschen Gewerbsleuten, die uns schwer
beeinträchtigen. Gewähret uns die Gnade, die ausstehenden
Schuldsummen eintreiben zu dürfen, und unterstützt dies
durch Euer Machtwort, da dies uns allein nur schwerlich
gelingen dürfte. Dann wäre uns geholfen!"
Meister Buff, den es bei seinen Freunden nicht litt und der
gern schon längst der Ehre hatte teilhaftig werden wollen,
mit dem Herzog selbst zu sprechen, gesellte sich zu dem
Sprecher und rief bekräftigend, wobei er seine kleine
Gestalt hoch aufrichtete: "So ist es, hochedler Gönner! Dann
ist uns geholfen!" Und zu seinem Freunde gewendet, flüsterte
er diesem zu: "Das war ein Wort zu rechter Zeit! Die Bürger
werden es Euch gedenken!"
Da sprach der Herzog, wobei ihm allerdings die scheelen
Blicke der Münzer insbesondere nicht entgingen: "Wohlan, es
sei! Ich verpfände euch mein fürstliches Wort! Für morgen
bescheide ich den Rat der Stadt in meine Burg, da möget ihr
eure Briefe und Forderungen vorlegen, und ich will sehen,
was ich vermag. Nun lasst uns weiterziehen."
Da ordnete sich im Nu ein gar seltsamer Zug vor den
staunenden Blicken des Herzogs. Erst kamen die Kinder und
Mädchen mit den geputzten Bäumlein, dann folgen die
verschiedenen Innungen: die Bäcker in ihrer kleidsamen
weißen Tracht mit den Ciphen, Kringeln, Brezeln, Wecken und
Fladen, dann die Kaufleute mit kostbaren Gewürzen, Zendal
und Seidenzeug, dann die Wildwerker mit seltenem Pelzwerke,
Hermelin und Blaufuchs, dann folgten die Tuchscherer mit
schöngefärbter Watte, blauen und roten Tuchballen, hierauf
die Waffenschmiede mit glänzendem Rüstzeuge, Helmen und
Schwertern; endlich die reichen und hochangesehenen und
deshalb mit neidischen Blicken betrachteten Münzer, die
köstliche Goldgefäße trugen, Becher und Krüge, auf Tassen
Silber- und Goldringe und neugeprägte Goldmünzen, und diesen
folgten die Fleischer, die prächtige Rinder, Kälber und
Schafe, alle mit Reiswerk und Bändern geschmückt, an kurzen
Seilen führten. Dann schwenkte Herzog Leopold mit seinen
Rittern ein, gefolgt von den übrigen Bürgern und Ratsherren.
Der Zug bog in die Wollzeile ein, eine damals neue Straße,
lange die schönste Wiens, wandte sich dann der
Traibotenstraße zu, kreuzte die Karrnerstraße und kam wieder
über den Rossmarkt und Kohlenmarkt zur neuen Herzogsburg
zurück. Während des Rittes wollte des Jubelns kein Ende
nehmen, überall dieselben Rufe der Freude, überall dieselbe
Liebe: Der Umzug war im vollsten Sinne des Wortes ein Zug
der Liebe, des wärmsten und edelsten Triumphes.
Der Herzog hielt sein Versprechen und sorgte, dass die
Wiener wieder zu ihren Rechten kamen. In herzlicher
Dankbarkeit aber, die sie dem Manne entgegenbrachten, der es
verstanden hatte, zu rechter Zeit dem Herzog ein rechtes
Wort zu sagen, nannten sie die Straße, wo ihr Fürsprecher
wohnte, die Pippingerstraße und erhielten dadurch noch durch
viele Jahrhunderte das Andenken rege an Leopolds ersten
Weihnachtsritt.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 28, Bilder: Peter Gugerell, gemeinfrei und GuentherZ unter der Lizenz CC BY-SA 3.0.
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