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Die Bundeshauptstadt

Person - Ludwig Anzengruber

Ludwig Anzengruber, Pseudonym Ludwig Gruber (* 29. November 1839 in der Alservorstadt von Wien; † 10. Dezember 1889 in Wien) war ein österreichischer Schriftsteller. Er gilt als bedeutender realistischer Dramatiker des Wiener Vorstadttheaters in der Tradition Johann Nestroys und Ferdinand Raimunds.

Leben:
Jugend: Die Familie Anzengruber stammt aus Hofkirchen an der Trattnach in Oberösterreich. Ludwig Anzengrubers Vater, Johann Anzengruber, verließ als Bursche den väterlichen Hof (Obermayerhof in Weng) und zog nach Wien, wo er eine niedrige Beamtenstelle in der Gefällen- und Domänenhofbuchhaltung fand. 1838 heiratete er Maria Herbich, die Tochter eines Apothekenprovisors. Die soziale Zugehörigkeit seiner Eltern spielte eine immer wiederkehrende wichtige Rolle in Ludwig Anzengrubers späteren Werken.

Vater Anzengruber schrieb Gedichte und Theaterstücke in der Art Friedrich Schillers, jedoch ohne Erfolg. Nur das Drama Berthold Schwarz wurde aufgeführt. Ludwig wurde im Dreilauferhaus (heutige Adresse 9., Kinderspitalgasse 1 / Alser Straße 38) geboren. Als Johann Anzengruber 1844 starb, war Ludwig erst fünf Jahre alt. Die Mutter überließ dem Sohn die kleine Bibliothek des Vaters, in dem vor allem die Werke William Shakespeares und Schillers den Jungen besonders beeindruckten. Seine Mutter, die immer mehr zur bestimmenden Person in seinem Leben wurde, hatte Schwierigkeiten, mit ihrer kleinen Witwenrente von 166 Gulden und 40 Kreuzern über die Runden zu kommen. Der Vormund Andreas Schumacher steckte selbst in finanziellen Nöten und war zudem als 1848-Revolutionär zwei Jahre in der Festung Kufstein inhaftiert. Als 1854 Ludwigs Großmutter starb, die Tochter und Enkel von ihren Ersparnissen unterstützt hatte, wurde die Wohn- und Lebenssituation noch prekärer.

Dennoch ermöglichte die Mutter es ihrem Sohn, die Volksschule der Paulaner (1847–1850) und die Unterrealschule der Piaristen (1851–1853) zu besuchen. 1855 brach er seine Schullaufbahn nach der ersten Klasse der Oberrealschule wegen Mittellosigkeit ab und nahm eine Praktikantenstelle (1856–1859) in der Buchhandlung Sallmeyer an. Dort las er mehr als er arbeitete, so dass er die Stelle nach Streit mit seinem Vorgesetzten aufgeben musste. Neben seiner Ausbildung nahm er Schauspielunterricht.

Schauspieler, Journalist und Schreiber: Nach einer schweren Typhuserkrankung beschloss Ludwig Anzengruber mit 19 Jahren, Schauspieler zu werden. In den nächsten zehn Jahren zog er mit seiner Mutter in verschiedenen Wandertruppen als Statist und Aushilfsschauspieler durch Österreich, Kroatien und Ungarn, doch er schaffte nie seinen Durchbruch. Einer der Gründe mag sein starker Dialekt gewesen sein, den er nie ganz ablegen konnte.

Anzengruber beschäftigte sich mit Baruch Spinoza und Ludwig Feuerbach und näherte sich atheistischen Anschauungen an.

Seit 1866 lebte er wieder in Wien. Er hatte kleine Engagements am dortigen Harmonietheater und am Varietétheater in Hietzing; außerdem trat er als Volkssänger auf. Während dieser Zeit entstanden mehrere Dramen und einige kleinere Erzählungen, die jedoch keinen Erfolg hatten. Anzengruber begann als Gelegenheitsschreiber zu arbeiten, u. a. für die Wiener Zeitschriften Wanderer und Kikeriki. 1869 nahm Anzengruber wegen extremer Geldnot einen Posten als Schreiber in der k.k. Polizeidirektion Wien an und verbrannte seine frühen dramatischen Versuche.

Freier Schriftsteller: Unter dem Pseudonym Ludwig Gruber gelang ihm 1870 der Durchbruch mit dem Stück Der Pfarrer von Kirchfeld, das am Theater an der Wien uraufgeführt wurde und ihn über Nacht berühmt machte. Heinrich Laube, der Leiter des Burgtheaters, schrieb eine enthusiastische Kritik, Peter Rosegger suchte die Freundschaft Anzengrubers. Der über Nacht erfolgreich gewordene Autor gab die niedere Beamtenlaufbahn wieder auf und lebte fortan als freier Schriftsteller.

Auch Anzengrubers nächste Stücke Der Meineidbauer (1871) und Die Kreuzelschreiber (1872), mit dem es Anzengruber gelang, das aktuelle Zeitstück mit der traditionellen Volkstheaterkomödie zu verknüpfen, waren sehr erfolgreich. In ganz Europa wurden seine Stücke aufgeführt. 1873 heiratete Anzengruber gegen den Willen seiner Mutter die erst 16-jährige Adelinde Lipka (1857–1914). Es kam schnell zu wiederholten Ehekrisen, Ursachen waren u. a. die hohen Schulden des Paares und das sehr enge Verhältnis Anzengrubers zu seiner Mutter, die allerdings 1875, zwei Jahre nach der Eheschließung des Sohnes, starb. 1889 wurde die Ehe geschieden.

1874 wurde Der G'wissenswurm uraufgeführt, das in Deutschland meistgespielte Lustspiel Anzengrubers. Im selben Jahr wurde die Uraufführung des gesellschaftskritischen Trauerspiels Hand und Herz, das in Hochsprache verfasst war, um es am Burgtheater aufführen zu können, jedoch zu einem Misserfolg. Die Tragödie Das vierte Gebot wurde 1877 in Wien sogar abgelehnt. Erst nach dem sensationellen Erfolg des Stückes 1890 in Berlin gab es in Wien Neuinszenierungen.

Nachlassender Erfolg: Ab 1879 brachten der nachlassende Erfolg seiner Stücke und die verschärften Zensurbestimmungen Anzengruber in finanzielle Schwierigkeiten. Deshalb wandte er sich der Prosa zu und nahm die journalistische Tätigkeit wieder auf. Er wurde in den folgenden Jahren Mitarbeiter verschiedener renommierter Zeitungen und Zeitschriften. Von April 1882 bis Mai 1885 leitete Anzengruber die Redaktion des Wiener Familienblattes Die Heimat, ab Mai 1884 war er Redakteur des Figaro, ab August 1888 übernahm er die Redaktion des Wiener Boten. Im September 1888 erhielt er eine feste Anstellung als Dramaturg für das Deutsche Volkstheater Wien. Anzengruber gehört zu den Gründern des Vereins Deutsches Volks-Theater in Wien, wie auch der Möbelfabrikant Franz Thonet und die Architekten Hermann Helmer und Ferdinand Fellner. Dieser Verein gründete das Volkstheater, das am 14. September 1889 mit Anzengrubers Der Fleck auf der Ehr eröffnet wurde.

Ende November 1889 erkrankte der erst 50-jährige Dramatiker an Milzbrand. Nach vierzehn Tagen starb er an den Folgen einer Blutvergiftung. Er wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe: 14 A Nummer: 1) bestattet. In Wien-Margareten (5. Bezirk) ist die Anzengrubergasse nach ihm benannt, in Wien-Penzing (14. Bezirk) die Anzengruberstraße, ebenso in Linz, Wels, Innsbruck, Villach, Klagenfurt, sowie in Deutschland in Hamburg-Wilstorf, Berlin-Neukölln, Erlangen-Dechsendorf, Regensburg und Passau.

Werk: Anzengrubers Werk ist dem ausgehenden Realismus zuzurechnen. Er gestaltete eine Dorfwelt, die ihre natürliche Unmittelbarkeit bewahrt hatte, und vollendete so das österreichische Volksstück in der Tradition Johann Nestroys und Ferdinand Raimunds. Wie sein Vorbild, der Nestroy-Konkurrent Friedrich Kaiser, versuchte auch Anzengruber ernst-heitere Volksstücke mit sentimentalen und sozialkritischen Elementen zugleich zu verfassen.

Anzengruber verstand sich als Volksaufklärer und Sozialreformer, liberal und antiklerikal eingestellt. Während es in seinem zu Lebzeiten veröffentlichten Werk keine negative Judenfigur gibt, stellte er im posthum erschienenen Der kewige Jud sowohl Juden als auch Antisemiten satirisch dar. Sein Frauenbild war von den Stereotypen seiner Zeit geprägt. In seinen Stücken konzentrierte er sich auf die Darstellung sozialer Beziehungen in einer überschaubaren Umwelt und versuchte im Rahmen der tradierten Dramaturgie, aktuelle soziale und politische Probleme deutlich zu machen. Er vertiefte die Charakterzeichnung psychologisch und stilisierte Milieu und Dialekt. Ähnlich verfuhr er mit der Dorfgeschichte. Sein Ansatz war dabei aufklärerisch, er wollte die Welt entgöttern und vermenschlichen. Einige seiner späten Prosatexte und auch seine Theaterpoetik sind bereits dem Naturalismus zuzurechnen.

Zu seiner Zeit wurde Anzengruber von Theodor Fontane, Otto Brahm, Paul Heyse oder auch Friedrich Engels hoch geschätzt. Als Ödön von Horváth neue kritische Volksstücke schrieb, geriet das Werk von Anzengruber in den Hintergrund. Heute wird Anzengrubers Werk als demokratische Alternative zur Heimatliteratur seiner Zeit gewürdigt. Otto Brahm nannte Anzengruber einen erzürnten Sittenrichter, einen leibend Strafenden, der die Verlotterung von Alt-Wien und die Verrohung von Neu-Wien mit gleich herber Wahrheit vergegenwärtigte und der allem theatralischen Schönfärben allem Lackieren mit Honigfarben ewig feind blieb.

Die österreichische Arbeiterbewegung sah Anzengruber wegen der sozialkritischen Tendenz seiner Stücke als einen der bedeutendsten Volksdichter neben Peter Rosegger und Marie von Ebner-Eschenbach an. Nach seinem Tod schrieb Victor Adler in der Arbeiter-Zeitung in einem Nachruf:

Heute wird in Wien der größte dramatische Dichter unserer Tage zu Grabe getragen. Wir sind weit entfernt davon, ihn als Sozialisten zu proklamiren. Das wirtschaftliche Problem lag ihm ferne. Aber er fühlte die schneidenden Widersprüche in unserer Gesellschaft und mit der naiven Wahrheitsliebe des wirklichen Dichters sprach er aus, was er sah und fühlte. In jedem seiner Stücke kommt ein Mann vor, der den Widerspruch zum Ausdruck bringt, der nicht ist wie die Anderen, sondern der denkt und die Menschen liebt. […] Sie alle sind zu Grunde gegangen in und an der Gesellschaft und sie wissen das. Diese Lumpen […], durch welche die ganze biedere, ehrenwerte Bürger- und Bauerngesellschaft und ihre satte Tugend eigentlich ein verflucht schäbiges Aussehen bekommt, sie sprechen die Sprache der Wahrheit. Und das macht den Dichter unbequem. Anzengruber war eine Rebellennatur.

Auszeichnungen:
1878: Schiller-Preis
1887: Grillparzer-Preis für Heimg'funden
1931: Benennung einer Straße nach ihm in Hannover-List.
1941: Gründung einer bis 1945 bestehenden, in das »Reichswerk Buch und Volk« der Reichsschrifttumskammer eingegliederten Anzengruber-Gesellschaft durch Karl Pschorn in Wien, deren Ziel „die Pflege und Förderung der bodenständigen und der deutschen Mundartdichtung“ war; diese wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den Verein Mundartfreunde Österreichs umgewandelt.

Werke:
Dramen:
Der Pfarrer von Kirchfeld. Volksstück mit Gesang in 4 Akten. UA: Theater an der Wien, 5. November 1870.
Der Meineidbauer. Volksstück mit Gesang in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 9. Dezember 1871.
Die Kreuzelschreiber. Bauernkomödie mit Gesang in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 12. Oktober 1872.
Elfriede. Schauspiel in 3 Akten. UA: Carl-Theater, 24. April 1873.
Die Tochter des Wucherers. Schauspiel mit Gesang in 5 Akten. UA: Theater an der Wien, 17. Oktober 1873.
Der G’wissenswurm. Bauernkomödie mit Gesang in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 19. September 1874.
Hand und Herz. Trauerspiel in 4 Akten. UA: Wiener Stadttheater, 31. Dezember 1874.
Doppelselbstmord. Bauernposse in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 1. Februar 1876.
Der ledige Hof. Schauspiel in 4 Akten. UA: Theater an der Wien, 27. Januar 1877.
Der Faustschlag. Schauspiel in 3 Akten. UA: Wien 1877.
Das vierte Gebot. Volksstück in 4 Akten. UA: Josefstädter Theater, 29. Dezember 1877.
Jungferngift. Mit Gesang in 5 Abteilungen. UA: Wien 1878.
Die Trutzige. UA: Wien 1878.
Alte Wiener. UA: Wien 1878.
Aus’m gewohnten Gleis. UA: Wien 1879.
Brave Leut’ vom Grund. UA: Wien 1880.
Heimg’funden. Weihnachtskomödie. UA: Stadttheater Teplitz 1885.
Stahl und Stein. Bauernstück. UA: Wien 1886.
Der Fleck auf der Ehr. Volksstück mit Gesang in 3 Akten. UA: Wien 1889.
Stahl und Stein. Volksstück mit Gesang in 3 Akten. Dresden und Leipzig, 1887.
Brave Leut vom Grund. Volksstück mit Gesang in 3 Abteilungen. Stuttgart, 1892.

Romane:
Der Schandfleck. Fortsetzungsroman in Die Heimat, 1876; erste Buchausgabe bei Rosner, Wien, 1877. Überarbeitete Fassung Leipzig, 1884
neu aufgelegt: Der Schandfleck. Eine Dorfgeschichte. Eduard Kaiser Verlag, Klagenfurt 1974.
Der Sternsteinhof. Eine Dorfgeschichte. Fortsetzungsroman in Die Heimat, 1884; erste Buchausgabe bei Breitkopf & Härtel, Leipzig 1885
Dorf-Romane. Leipzig, 1884f.

Erzählungen:
Dorfgänge. Gesammelte Bauerngeschichten. Mit einer Plauderei als Vorrede. 2 Bände. Rosner, Wien 1879.
Die Märchen des Steinklopferhanns. Schauenburg, Lahr 1880.
Bekannte von der Straße. Genrebilder. Leipzig 1881.
Feldrain und Waldweg. Sammlung. Spemann, Leipzig 1881.
Launiger Zuspruch und ernste Red’. Kalendergeschichten. Schauenburg, Lahr 1882.
Kleiner Markt. Novellen, Studien, Märchen und Gedichte. Schottländer, Breslau 1882.
Allerhand Humore. Kleinbürgerliches, Großstädtisches und Gefabeltes. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1883.
Die Kameradin. Eine Erzählung. Minden, Dresden und Leipzig 1883.
Wolken und Sunn’schein. Gesammelte Dorfgeschichten. Spemann, Stuttgart, 1888.
Letzte Dorfgänge. Kalendergeschichten und Skizzen aus dem Nachlass. Cotta, Stuttgart, 1894.

Verfilmungen:
Der Doppelselbstmord. Österreich 1918. Regie: Jakob Fleck und Luise Fleck. Mit Liane Haid, Karl Ehmann
Der G’wissenswurm. Deutschland 1962. Fernsehfilm. Regie: Robert Michal. Mit Fritz Straßner, Max Grießer
Hand und Herz. Österreich 1917. Als Im Banne der Pflicht. Regie: Jakob Fleck und Luise Fleck. Mit Wilhelm Klitsch, Marie Marchal
Die Jugendsünde
1. Deutschland 1919. Regie: Georg Alexander. Mit Gerd Egede-Nissen
2. Deutschland 1936. Regie: Franz Seitz. Mit Elise Aulinger, Josef Berger
Die Kreuzlschreiber Deutschland 1950. Regie: Eduard von Borsody. Mit Fritz Kampers, Wolf Kaiser
Der Meineidbauer
1. Der Meineidbauer, Österreich 1915. Regie: Jakob und Luise Fleck. Mit Hermann Benke
2. Deutschland 1941. Regie: Leopold Hainisch. Mit Eduard Köck, O. W. Fischer
3. Der Meineidbauer, Deutschland 1956. Regie: Rudolf Jugert. Mit Heidemarie Hatheyer, Carl Wery
4. Deutschland / Österreich 2012. Regie: Joseph Vilsmaier. Mit Günther-Maria Halmer u. a.
Der Pfarrer von Kirchfeld
1. Der Pfarrer von Kirchfeld, Österreich 1914. Regie: Jakob Fleck und Luise Fleck. Mit Ludwig Trautmann, Max Neufeld
2. Der Pfarrer von Kirchfeld, Deutschland 1926. Regie: Jakob Fleck und Luise Fleck Mit William Dieterle, Fritz Kampers
3. Der Pfarrer von Kirchfeld, Österreich 1937. Regie: Jakob Fleck und Luise Fleck. Mit Hans Jaray, Ludwig Stössel
4. Das Mädchen vom Pfarrhof, Österreich/Deutschland 1955. Regie: Alfred Lehner. Mit Waltraut Haas, Erich Auer
5. Der Pfarrer von Kirchfeld, Deutschland 1955. Regie: Hans Deppe. Mit Claus Holm und Ulla Jacobsson
Der Schandfleck
Sternsteinhof. Deutschland 1976. Regie: Hans W. Geissendörfer. Mit Katja Rupé, Tilo Prückner
Über Kreuz. Deutschland 1995. Fernsehfilm. Regie: Imo Moszkowicz. Mit Gundi Ellert, Gerd Anthoff
Das vierte Gebot
1. Deutschland 1912. Regie: Charles Decroix
2. Österreich 1914. Produktion: Wiener Kunstfilm-Industrie
3. Österreich/Deutschland 1920. Als Martin Schalanters letzter Gang. Eine Elterntragödie. Regie: Richard Oswald
4. Das vierte Gebot, Österreich 1950. Regie: Eduard von Borsody. Mit Attila Hörbiger, Dagny Servaes
5. Österreich 1964. Fernsehfilm. Regie: Walter Davy. Mit Helmut Qualtinger, Erika Pluhar, Walter Kohut
Der Weiberkrieg Deutschland 1928. Regie: Franz Seitz. Mit Liane Haid, Josef Eichheim
Die Widerspenstigen Deutschland 1977. Fernsehfilm. Regie: Olf Fischer. Mit Gerhart Lippert, Katharina de Bruyn

Neuigkeits-Welt-Blatt (Provinz-Ausgabe/Land-Ausgabe) vom 12.12.1889, Seite 3: Ludwig Änzengruber †. Der unerbittliche Tod hat soeben eine stolze Eiche im deutschen Dichterwalde gefällt. Ludwig Anzengruber, der große Volkspoet, ist am 10. d. M. in Wien im Alter von 50 Jahren an einem hartnäckigen Leiden, an dem er schon lange laborirte, gestorben. Ein Kind des Volkes, verstand er es in meisterhafter Weise, das Leben und Fühlen des Volkes und speziell der Bewohner unserer herrlichen Alpenländer zn schildern. Am 28. v. M. feierte das Deutsche Volkstheater den 50. Geburtstag Anzengruber's durch die festliche Aufführung eines seiner Stücke und lud den Dichter ein, der Vorstellung beizuwohnen. Anzengruber entschuldigte sich jedoch in einem humoristischen Schreiben, daß er durch seine Krankheit verhindert sei, zu erscheinen. Ludwig Anzengruber war ein geborener Wiener und erblickte am 29. November 1839 das Licht der Welt. Erst Buchhandlungspraktikant, wurde er 1860 Schauspieler und wirkte durch sieben Jalire auf den Brettern, welche die Welt bedeuten. Nach dieser Zeit wendete sich der Dahingeschiedene einem anderen praktischeren Be­rufe zu und wurde — Polizeibeamter. Bereits als 18jähriger Jüngling machte er die ersten Schritte auf literarischem Wege und schrieb mehrere Theaterstücke. Allein erst in späteren Jahren erzielte er mit seinem „Pfarrer von Kirchfeld" den ersten durchschlagenden Erfolg, der seinen Namen in kürzester Zeit populär machte. In rascher Reihenfolge entstanden „Die Kreuzelschreiber", „Elfriede", „der Meineidbauer", „Die Tochter des Wucherers", „Der G'wissenswurm", „Hand und Herz", „Doppelselbstmord", „Der ledige Hof", „Das vierte Gebot", „Ein Faustschlag", „Die Trotzige", „Heimg'funden", „Stahl und Stein" u. A. Alle diese Stücke wurden mit mehr oder weniger großem Erfolge auf allen hervorragenden Bühnen aufgeführt und halfen den Ruf Anzengruber's als echten Volksdichters und vorzüglichen Schilderers des Lebens in den Alpen zu festigen. Aber auch als Erzähler gehörte der Dichter zu den Hervorragendsten seiner Gilde und seine „Dorfgänge", „Bekannte von der Straße", „Wolken und Sunn'schein", sowie seine Dorf­romane „Der Schandfleck" und der „Sternstein­hof" legen ein beredtes Zeugniß für die hohe Begabung Anzengruber's ab. Für sein literarisches Wirken erhielt Anzengruber im Jahre 1878 zugleich mit Nissel und Wilbrandt vom deutschen Kaiser den großen Schillerpreis. Der Dichter wirkte auch publizistisch und redigirte von 1882—1885 die Zeitschrift „Die Heimat". Von 1885 an war er Redakteur des „Wiener Figaro". Ueber die Krankheit Anzengruber's erfahren wir Folgendes: Anzengruber erkrankte vor Monats­frist an einem Anthrax und mußte sich einer schmerzhaften Operation unterziehen. Dieselbe schien von einem günstigen Erfolge begleitet zu sein, als plötzlich eine Verschlimmerung eintrat, welche bald das Schlimmste befürchten ließ. Man rief den Professor Albert zu einer Konsultation, aber leider konnte dieser Gelehrte dem rasch fortschreitenden Uebel nicht mehr Einhalt thun. Es trat eine Blutvergiftung ein, deren Folgen Ludwig Anzengruber am 10. d. Morgens erlag.

Der Abend vom 6.7.1927, Seite 4: Karl Anzengruber ist gestern, 51 Jahre alt, ge­storben. Zu dem Ableben des Dichters Karl Anzen­gruber, des einzigen Sohnes Ludwig Anzengrubers, er­fährt die Korrespondenz Herzog: Karl Anzengruber war erst vor einigen Tagen von seinem Urlaub nach Wien zurück­ gekehrt. Anzengruber hatte seinen Urlaub auf dem Bärenkogel bei Mürzzuschlag zugebracht, wo er sich sehr für die Bauernspiele interessierte, die der Schriftsteller Hans Saßmann im Verein mit dem sibirischen Schriftsteller Toni Schruf veranstaltete. Anzengruber hatte sich körperlich sehr erholt und eine Gewichtszunahme zu verzeichnen gehabt. Kaum war er in seine Wohnung zurückgekehrt, als sich plötz­lich am Fuße heftige Schmerzen einstellten. Professor Schlesinger stellte eine Venenentzündung fest und veranlaßte, als ein Bluterguß aus der Lunge eintrat, die sofortige Ueberführung des Patienten in seine Klinik. Hier verschlechterte sich der Zustand Anzengrubers zusehends, und als Montag seine Frau am Krankenbett erschien, war er bereits derart ernst, daß die Frau von den Aerzten auf den Tod ihres Mannes vorbereitet wurde. Gestern früh trat der Tod ein. Anzengruber hatte ein Alter von 51 Jahren erreicht. Seine einzige Tochter, Frau Anzengruber-Mader, die Schauspielerin ist, gastiert derzeit in Deutschland. Die Leichenfeier wird kommenden Sanistag stattfinden.

Neues Wiener Journal vom 8.7.1927, Seite 4: Erinnerung an Karl Anzengruber. Es gehört viel Tapferkeit und einige Resignation dazu, der Sohn eines großen Vaters zu sein. Karl Anzengruber, Inspektor der städtischen Straßenbahnen und Dichter dazu, ließ von der Spur Tragik, die in solch einem Sohnesschicksal liegt, aber wohl kaum je etwas merken. Er war heiterer und lebensfreudiger als sein Vater und er hatte die Tugend, die nicht alle Söhne der Berühmten aufzubringen vermögen: er war von vollendeter, ja rührender Neidlosigkeit. Er war noch in seinen grauen Haaren kindlich stolz auf den Ruhm des Vaters und er hatte die im Grunde sehr wienerische Bescheidenheit, es selbstverständlich zu finden, daß man sich mit Karl Anzengruber am liebsten — über Ludwig Anzengruber unterhielt. Karl war übrigens erst zwölf oder dreizehn Jahre alt, als er seinen Vater verlor. Und nur ein einzigesmal in seinem Knabendasein wurde ihm dämmernd bewußt, was nicht nur er, sondern die Welt an dem Mann, der sein Vater war, besaß. „Als man", erzählte er, „in dem noch nicht fertig gebauten Deutschen Volkstheater mit den Proben des Eröffnungsstückes, Anzengrubers „Fleck auf der Ehr'" begann, sagte der Vater eines Tages in einem Anfall besonders guter Laune: Bub, nimm deinen Hut, wir geh'n miteinander ins Theater!" An der Hand des Vaters stand der Junge rückwärts im Stehparterre und folgte in andächtiger Stummheit den Vorgängen auf der Bühne, von denen er nicht sehr viel verstand. Ab und zu ließ Ludwig Anzengruber die Hand seines kleinen Jungen los, ging bedächtigen Schrittes auf die Bühne und probierte dort selbst mit den Schauspielern. Und lächelnd erzählte Karl Anzengruber oft, welch großen Ein­druck ihm die Höflichkeit, mit der man seinen Vater behandelte, machte. Fast hatte er das Gefühl, als Sohn eines solchen Mannes selbst eine kleine Respektsperson zu sein. Alle seine Erinnerungen an Ludwig Anzengruber sind übrigens die eines kleinen Knaben und haben infolgedessen die Persönlichkeitsfärbung, die man in den Biographien berühmter Männer meistens vermißt. So oft der herangewachsene und alternde Sohn im Volkstheater das Deckengemälde, auf dem sein Vater mit Raimund und Nestroy abgebildet ist, sah, fiel ihm ein Tag in seiner frühen Jugend ein. Der Vater kam mit ein paar schwarzen Farbflecken auf der Stirn heim. Von Karl darauf ausmerksam gemacht, sah er in den Spiegel und brummte ärgerlich: „Schau dir so einen Kerl an; laßt mich der mit der angeschmierten Glatze herumrennen !" Karl erfuhr auf sein Fragen, daß der Vater beim Photographen gewesen war, der ihm die charakteristischen Stirnfalten, um sie deutlich auf die Platte zu bekommen, ein bißchen nachgeschwärzt hatte. Das Bild sollte als Vorlage für das große Deckengemälde des Theaters dienen. „Es wird ein sehr schönes Bild", sagte Ludwig Anzengruber. „Aber ich glaub', ich werd' ein eigentümliches Gefühl haben, wenn ich mich da oben als einzigen Lebendigen unter den Toten anschauen muß..." Ludwig Anzengruber ahnte nicht, daß er selbst schon in wenigen Monaten ein großer Toter sein würde. „Ich lebte", erzählte Karl, „damals allein mit dem Vater und bin ihm in dieser Zeit viel näher als in den Jahren vorher gekommen. Denn Anzengruber hatte nie viel Zeit, sich mit uns Kindern abzugeben. Oft stand ich an seiner Tür und horchte, was der Vater in seinem Arbeitskabinett eigentlich gar so viel mit sich selbst zu reden hatte. Stundenlang konnte man ihn auf und ab gehen und laut sprechen hören. An der Art, wie er bei diesem Sprechen die Stimme zu verändern pflegte, erkannte ich bald, daß er an einem Theaterstück arbeite. Und als er mich einmal in das von seiner Portoriko [Pfeifentabak] völlig verqualmte Arbeitszimmer einließ, sah ich auf dem Schreibtisch einen wirren Haufen beschriebener Zettel, der ihn meiner Ansicht nach beim Arbeiten stören mußte und den ich gleich aus dem Weg zu räumen begann. „Na, na!" sagte der Vater, der heute sichtlich seinen guten Tag hatte, „Laß mir das nur da, in den Papierkorb gehört das vorderhand noch nicht!" Er schob mit beiden Händen seine Zettel zusammen und brachte sie in der großen Potefeuilletasche unter. Und auf die neugierige Frage, wozu er das Zeug denn noch brauche, brummte er einsilbig bloß: „Für a Arbeit!" Erst in den letzten Monaten seines Lebens begann Anzen­gruber sich mehr mit seinem kleinen Sohn zu beschäftigen und ihm zuweilen auch Anekdoten aus seinem früheren Leben zu er­zählen. Bei einer solchen Gelegenheit kam er auch auf seine Schauspielerjahre zu sprechen. Nie hatte Karl seinen großen, ernsten, meist ein bißchen brummigen Vater so vergnügt gesehen, und schmunzelnd erzählte er eine Geschichte um die andere. Karl Anzengruber merkte sich diesen Tag um so eher, als es der Vater in den früheren Jahren immer vermieden hatte, von seiner Schauspielerzeit zu sprechen. Aber für das Puppentheater, das sich seine Kinder eingerichtet hatten, interessierte er sich sehr. Und als den Kleinen ein von ihm zur Aus­führung empfohlenes Stück „Rotkäppchen und der Wolf" nicht recht gefallen wollte, weil kein Kasperl vorkam, setzte sich Ludwig Anzengruber sofort hin und schrieb das „Rotkäppchen" um, in dem nun der Kasperl als Treiber eine große Rolle spielte. Bei der Aufführung saß er dann als Ehrengast mitten in einem Schwarm von Kindern und unterhielt sich ausgezeichnet. Unvergeßbar sind dem Sohn die letzten Tage seines großes Vaters geblieben. „Vier Tage vor seinem Tod. am Nikolotag", erzählte Karl Anzengruber, „lag der Vater schon im Bett, fieberte und hatte sichtlich recht große Schmerzen. Aber an den Nikolo hatte er trotzdem nicht vergessen. Am Nachmittag rief er mich, gab mir Geld und trug mir auf, „das Krokodil" heute selbst einzukaufen. Er hatte uns nämlich vor Jahren zum Nikolotag ein Krokodil aus Kletzenbrot gebracht, das solchen Beifall fand, daß in der Familie Anzengruber kein Nikolotag mehr ohne „das Krokodil" gefeiert wurde." Und zwei Tage später hatte Karl ein anderes, ernsteres Erlebnis, das nicht mehr aus seiner Erinnerung schwand. „Der Vater", erzählte er, „bezeichnete mir einen in seinem Kasten be­findlichen Pack Schriften, den ich ihm ans Bett bringen mußte. Ich brachte ihm die Papiere. Langsam sah er das große Paket durch, sehr nachdenklich, dann gab er es mir zurück und sagte: „Draußen im Ofen brennt noch Feuer, nimm das Stück, wirf's hinein und laß es verbrennen!" Ahnungslos tat der Knabe, wie der Vater befohlen. Und erst, als er viel älter geworden war. machte er sich Gedanken darüber, ob es wohl auch richtig gewesen sei, seinem Vater diesen Wunsch erfüllt zu haben. Zwei Tage nach diesem Autodafé [Verbrennung von Büchern und Schriften], dem ein unbekanntes Stück von Ludwig Anzengruber zum Opfer fiel, verabschiedete sich der kleine Karl ahnungslos vom Vater, um in die Schule zu gehen. Der Kranke strich ihm väterlich durchs Haar, zärtlicher, als er dies sonst tat. Und als der Knabe nach drei Stunden zurückkam, fand er im Hausflur eine Menge fremder Leute, die ihn teilnahmsvoll ansprachen. Sein Vater war gestorben. Karl Anzengruber war damals ein kleiner Junge von zwölf Jahren, er wußte noch nicht, was die Welt und nicht nur er an seinem Vater verloren hatte. Er hat vom dichterischen Genie dieses Großen vielleicht nur ein kleines Talent geerbt, ohne dies besonders tragisch zu empfinden. Als ehrlicher, braver Mann ging er seinen nicht allzulangcn Lebensweg. Und nicht mit Bitterkeit, sondern selbstlos und mit Stolz fügte er sich in sein Schicksal, einen Namen zu tragen, dessen Berühmtheit er nicht erreichen konnte... *»* Die Leichenfeier für Karl Anzengruber wurde für Samstag, 3 Uhr nachmittags, in der Aufbarungshalle des Zentralfriedhofes, zweites Tor, angeordnet. Die einzige Tochter des Verstorbenen, die Schauspielerin Anny Anzengruber, die derzeit in Hannover auf einer Tournee ist, ist auf die Nachricht von dem plötzlichen Hins-Heiden ihres Vaters derart schwer erkrankt, daß sie nicht zu dem Leichenbegängnis nach Wien kommen kann.

Weiters im Grab bestattet:
Karl Anzengruber, Dichter, Inspektor der städtischen Straßenbahnen, * 1876, † 05.07.1927, Bestattungsdatum: 09.07.1927

Ludwig-Anzengruber-Denkmal von Hans Scherpe am Schmerlingplatz (1905 enthüllt).

Quelle: Text: Wikipedia (erweitert), Bilder: www.nikles.net, Rudolf Krziwanek: Ludwig Anzengruber, Leipzig 1902, gemeinfrei, Der Abend vom 6.7.1927, Seite 4, Neues Wiener Journal vom 8.7.1927, Seite 4.



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