Die Teuerungsrevolte, auch Teuerungs- oder Septemberunruhen genannt, waren Ausschreitungen nach einer Arbeiterdemonstration und deren gewaltsame Niederschlagung in Wien am 17. September 1911. Zum ersten Mal nach dem Oktoberaufstand 1848 wurde in Wien wieder das Feuer auf Demonstranten eröffnet.
Vorgeschichte: Durch Trockenheit bedingte Missernten in Österreich-Ungarn und hohe Weltmarktpreise für Lebensmittel hatten 1909/10 zu Preissteigerungen für Brot und andere Nahrungsmittel geführt. Der Mehlpreis hatte sich fast verdoppelt und Fleisch war für Arbeiter fast unerschwinglich geworden. Auch die desolate Wohnungssituation war durch steigende Mieten noch verschärft worden.
Demonstration und Unruhen: Am Sonntag den 17.
September 1911 kam es auf dem Wiener Rathausplatz zu einer
Demonstration gegen die Teuerung. Die Sozialdemokratische
Arbeiterpartei hatte dazu aufgerufen, wegen der für Arbeiter
existenzbedrohenden Preisanstiege.
Neben der Polizei war eine Division Dragoner, Ulanen und
Husaren sowie mehrere Bataillone ungarische und bosniakische
Infanterie in der Innenstadt zusammengezogen worden.
Laut Polizeibericht folgten 36.000, laut Veranstaltern
100.000 Teilnehmer den Reden der Politiker Franz Schuhmeier,
Albert Sever und Delegierten aus Italien und Böhmen. Als
sich die friedliche Demonstration auflöste, fiel angeblich
vom Palais Epstein
her, damals Sitz des Verwaltungsgerichtshofes, ein Schuss.
Es konnte nie geklärt werden, wer diesen Schuss abgegeben
hatte. Auch ein aus der Menge abgegebener Schuss gilt heute
als möglicher Auslöser. Als aus der Menge Steinwürfe gegen
das Palais und das Rathaus
fielen, gingen unzählige Fenster zu Bruch. Polizei und
Militär darunter auch die Deutschmeister rückten daraufhin
gegen die Demonstranten vor und drängten sie Richtung
Neubau und
Mariahilf. Der harte Kern der Demonstranten zog sich in
den Arbeiterbezirk Ottakring
zurück. Dort errichteten die Demonstranten Barrikaden,
demolierten Amtsgebäude, es kam zu Plünderungen.
Albert Sever schilderte das weitere Geschehen am 13.
September 1931 in der Arbeiterzeitung:
„Die Gablenzgasse heraus werden die Genossen verfolgt, die
Umgebung des Arbeiterheims ist voll vom Militär. Zur
Verstärkung wurde aus der Radetzkykaserne eine Kompanie des
polnischen Militärregiments Nr. 24 herangezogen. … Eben als
die Kompanie des Infanterieregiments Nr. 24 gegen das
Arbeiterheim heranrückte, ging der Genosse Otto
Prötzenberger über den unverbauten Platz gegenüber dem
Arbeiterheim. Er wurde von den Soldaten erreicht, ein
Bajonettstich brachte ihn zum Wanken. Er sank in die Knie,
raffte sich aber dann noch auf und lief in das Kaffeehaus
des Arbeiterheims. Hier stürzte er am Kassiertisch zusammen.
In wenigen Minuten war er tot. … Der nächste Blutzeuge war
der Genosse Franz Joachimsthaler (siehe auch Joachimsthalerplatz), der einen Bauchschuss
erhielt und gleichfalls ins Sophienspital gebracht wurde.
Drei Tage später ist er gestorben. … Ganz unbeteiligt kam
Franz Wögerbauer zu einem Säbelhieb. Er kam aus dem Gasthof
Lederer in der Herbststraße, als eine Kavalleriepatrouille
über die Straße sprengte und ihm einer der Reiter, die blind
um sich schlugen, mit einem Hieb den Kopf spaltete. Nach
furchtbaren Qualen ist er acht Tage später gestorben.“
Otto Bauer kommentierte die Ereignisse kurz darauf so:
„Zum ersten Mal seit dem Oktobertag 1848, an dem die
Truppen Windischgrätz' die Hauptstadt dem Kaiser
wiedererobert haben, ist in Wien auf das Volk geschossen
worden. Was selbst in den gewaltigsten Stürmen des
Wahlrechtskampfes nicht geschehen ist, hat sich am 17.
September 1911 in Wien ereignet. In ganzen Stadtvierteln
blieb kein Haus, kein Fenster, keine Laterne unversehrt. In
dem Proletarierviertel Ottakring
wurden Schulgebäude und Straßenbahnwagen in Brand gesetzt.
Barrikaden wurden gebaut, die Truppen schossen auf das Volk,
und im Rücken der wild erregten Menge plünderte das
Lumpenpoletariat die Geschäftsläden.“
Prozesse: Außer den vier toten Arbeitern Otto
Brötzenberger, Franz Joachimsthaler, Leopold Lechner und
Franz Wögerbauer, gab es 149 Verletzte, mehr als 488
Personen wurden verhaftet und 283 zu schwerem Kerker
verurteilt. Die Verhandlungen hatten schon zwei Tage nach
der Revolte begonnen und waren binnen kurzer Zeit mit der
Verurteilung aller Angeklagter abgeschlossen. Justizminister
Viktor von Hochenburger hatte dafür die Schwurgerichte, die
eigentlich für „politische Verbrechen“ zuständig waren,
ausgeschaltet und die Staatsanwälte angewiesen, hohe
Strafanträge zu stellen.
Nachwirkung: In der Hungerrevolte in
Ottakring ging es nicht nur um
Nahrungsmangel, sondern es artikulierte sich ein erstes
breites Aufbegehren marginalisierter vorstädtischer Massen.
Am 5. Oktober 1911 gab es ein parlamentarisches Nachspiel im
Wiener Reichsrat. Gerade als Victor Adler, unter dem
Tagesordnungspunkt „Teuerungsrevolte“ Hochenburger für die
Eskalation der Ereignisse verantwortlich machte, fielen aus
der Besuchergalerie Schüsse Richtung Regierungsbank, die
Hochenburger und den späteren Ministerpräsident Karl Stürgkh
verfehlten. Der Schütze, der 20-jährige arbeitslose
Tischlergeselle Nikola Njegos wurde überwältigt und zu
sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Er starb während der
Haft. Ministerpräsident Paul Gautsch trat wegen der Unruhen
zurück und wurde von Stürgkh abgelöst.
Am Ottakringer
Friedhof erinnert ein von den Sozialdemokraten
gestiftetes Denkmal an die Opfer der Teuerungsrevolte. 1928
wurde der Platz vor dem
Wilhelminenspital
nach dem Schlossergehilfen Franz Joachimsthaler
Joachimsthalerplatz benannt.
Quelle: Text: Wikipedia, Bilder: PD-alt-100 und Michael Kranewitter unter der Lizenz CC BY-SA 2.5.
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