Person - Anton Schlinger
Anton Schlinger (* 31. Juli 1870 in Abtsdorf, Böhmen; † 21. Oktober 1912 in Wien, Bestattungsdatum: 16. Mai 1913) war ein österreichischer Gewerkschafter und Politiker (SDAP). Er war Mitglied des Wiener Gemeinderates und des österreichischen Abgeordnetenhauses.
Leben: Als Sohn eines Kleinhäuslers und Landarbeiters geboren, besuchte Schlinger die Volksschule und schlug sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten durch. Er übersiedelte 1888 in die damals noch selbstständige Gemeinde
Floridsdorf, wo er zunächst in einer Gärtnerei beschäftigt war. Er arbeitete später als Hilfsarbeiter in einer Schraubenfabrik und wurde zuletzt dort zum Fräser.
Neben seinem Beruf bildete sich Schlinger in Volksbildungskursen des Verbandes der Arbeitervereine von
Floridsdorf und Umgebung weiter und wurde in der Folge in der Gewerkschaftsbewegung aktiv. Er trat Anfang der 1890er Jahre der Gewerkschaft der Metallarbeiter bei und wurde in deren Ortsgruppenausschuss gewählt. Sein gewerkschaftliches Engagement führt zu seiner Kündigung. Schlinger kam jedoch in der Folge in der
Lokomotivfabrik Floridsdorf unter, wo ihn seine spätere Frau, Katharina Schlinger, für die sozialdemokratische Partei anwarb.
Schlinger stieg in der Folge zum Hauptvertrauensmann der Sozialdemokraten in
Floridsdorf sowie 1894 zum Obmann der Metallarbeitergewerkschaft auf. Zudem gründete er 1896 die Zeitung „Der Wähler“ (ab 1898 „Volksbote“), die er als Redakteur und Herausgeber betreute.
Seine parteipolitischen Aktivitäten führten erneut zu einem Konflikt mit seinem Arbeitgeber, weshalb Schlinger ab 1898, von seiner Partei vermittelt, als Krankenkassenkontrolleur arbeitete und Beamter der Bezirkskrankenkasse Floridsdorf wurde. Er leitete 1897 den Wahlkampf der Sozialdemokraten in
Floridsdorf und wurde 1899 zum Obmann der Sozialdemokratischen Partei Floridsdorf gewählt. Nachdem er 1903 zum Gemeinderat in
Floridsdorf gewählt worden war, wurde er nach der Eingemeindung von
Floridsdorf nach Wien im Jahr 1904/1905 Gemeinderat in Wien. Des Weiteren war Schlinger ab 1900 Wahlkreisvertrauensmann der Sozialdemokratischen Partei sowie Klubobmann der Wiener Sozialdemokraten. Er kandidierte erstmals im Jahr 1901 für den
Reichsrat und konnte schließlich bei der Reichsratswahl 1911 ein Mandat im Wahlbezirk Österreich unter der Enns 36 erlangen. Er war in der Folge im Teuerungs- und Weinkulturenausschuss aktiv; parallel dazu gehörte er weiterhin dem Wiener Gemeinderat an. Er wurde am
Groß-Jedlersdorfer Friedhof (Gruppe: 1L D, Reihe: 3, Nummer: 1) bestattet. Wikipedia:
Das Grab ist bereits aufgelassen.
Der 1924 bis 1926 erbaute
Schlingerhof im 21. Bezirk wurde nach ihm benannt. Von 1920 bis zur Umbenennung durch den austrofaschistischen Ständestaat 1934 war die heutige Hermann-Bahr-Straße in
Floridsdorf ebenfalls nach Anton Schlinger benannt.
Arbeiter Zeitung vom 22.10.1912, Seite 1 und 2:
Anton Schlinger.
Er war ein treuer Sozialdemokrat, ein braver
Genosse, unser Anton Schlinger, den die tückische
Krankheit so jäh aus unserer Mitte gerissen. Tritt
der Tod ans Ende der Dinge, verfällt ihm ein Leben,
das schon vollendet, so wirkt das Schicksal, das alles
Menschliche beherrscht, versöhnend, und nur mit bewegter
Wehmut sehen wir zerfließen, was im
Dasein schon erfüllt war. Aber hier ist
ein Mann aus der Vollkraft seines Lebens und
Wirkens gerissen worden; hier ist ein Baum gefällt
worden, der noch lange grünen und blühen hätte
können, hier hat der Tod gar grausam gehaust. In
kurzer Zeit sind drei tüchtige Männer, jeder von
ihnen an seinem Platze ein vielbewährter Kämpe
und sie alle drei im besten Mannesalter stehend,
von uns geschieden. Nach Franz Silberer und
Arnold Riese verliert nun unsere parlamentarische
Fraktion innerhalb eines Jahres in Anton Schlinger
das dritte Mitglied, und sie alle drei waren junge
gesunde Menschen, alle drei hat ein blindes Ungefähr
dahingerafft! Da will sich kein Trost einstellen, und
in schmerzlicher Erschütterung klagen wir um den
treuen Freund, den wir alle geschätzt und geliebt und
den wir alle verloren haben!
Ein vorbildlicher Sozialdemokrat war Anton
Schlinger, und aus diesem schlichten Arbeiterleben
kann das ganze heranwachsende Geschlecht lernen:
lernen, was proletarische Energie vermag, lernen,
was sozialdemokratisches Pflichtgefühl ist. Aus der
dumpfen Enge, wohin kein Sonnenstrahl der
Kultur dringt, hat sich Schlinger den Weg
gebahnt zum Wissen, zur Bildung; hat er sich
selbst befreit und ein neues Leben gebaut. Dazu waren
natürlich Anlage und Begabung notwendig; aber dazu
waren nicht minder Tapferkeit und ein rastloser Wille
notwendig. Das Talent ist nicht so selten, wie man glaubt,
und in der Arbeiterschaft, in ihrer ungebrochenen Kraft,
sprießen Begabungen nicht spärlich empor. Aber wie viele
gehen in den Widrigkeiten des harten Lebens unter, wie
viele werden in der zermalmenden Monotonie des Arbeiterlebens
verschüttet! Was Schlinger erfüllte und ihm
die zähe Energie einflößte, durch die er die Hindernisse
überwand, das war seine Begeisterirng für die
sozialdemokratische Idee, das war die feurige
Leidenschaft, mit der er sich der Proletarierpartei
und ihren hehren Zielen verband. Und
so wirkte dieses Leben aus dem Engen ins Weite,
ergriff immer größere Ausgaben und blieb der
kleinsten nichts schuldig. Schlinger war das Muster
eines sozialdemokratischen Vertrauensmannes, in der
Unermüdlichkeit und Emsigkeit seines Arbeitens, in
der Zuverlässigkeit seines Wesens nicht zu übertreffen.
Ihn kannte im Floridsdorfer Bezirk wohl
jeder und er kannte sicherlich jeden. Er war
dort nicht bloß Organisator und Agitator, er
war dort nicht etwa bloß der Vertrauensmann im
Gefüge der Partei, nicht bloß der schöpferische Geist
im Innern der Beratung, der tatkräftige Führer im
Kampfe, er war dort für jeden Arbeiter auch der persönliche
Freund, der treue Freund, dem jede Sorge anvertraut
wurde, den man in allen Kümmernissen zu Rate zog, der
immer noch einen Ausweg ersann, immer noch eine
Hilfe ausfindig machte, er war dort der gute Geist
der gesamten Arbeiterschaft. Es werden in Floridsdorf
viele Tränen geweint werden, da die schmerzensvolle
Kunde in den Bezirk drang, daß der
Floridsdorfer Arbeiterschaft, der Floridsdorfer Parteigemeinschaft
ihr Anton Schlinger gestorben ist! Aber
so verwachsen Schlinger mit der großen Organisation
in Floridsdorf war: in Kirchturmwesen ist er nie
aufgegangen, immer hat er sich den Blick auch fürs
Ganze und Große bewahrt, auf jedem Posten hat
er seinen Mann gestellt und zu den schwersten
Aufgaben wäre er allmählich hinausgewachsen.
Denn er war ein kluger Mensch und ein
seichtes, oberflächliches Wort kam nicht über seine
Lippen. Deswegen horchte man überall in der Partei
auf, in der Landesparteivertretung, in der Fraktion,
auf den Parteitagen, wenn Anton Schlinger sprach,
der immer etwas zu sagen hatte. Und was war unser
Schlinger für ein guter, lieber Mensch! Wer
je in diese treuen Augen hineingesehen, dieses
freundliche Lächeln erlebt hat, wer diesen bei aller Unbeugsarnkeit
im Handeln grundgütigen Menschen beobachtet,
der empfindet seinen Verlust als eigensten,
persönlichen Schmerz. Und es haben ihn viele, viele
gekannt und Trauer um den Allzufrühverlorenen
durchzieht die ganze Partei.
Ein Kämpfer fiel, und schwere und harte
Kämpfe müssen noch ausgekämpft werden. Vielleicht ist
es das Schmerzlichste, daß wir den vollen Wert des
Menschen erst erkennen, wenn wir ihn verloren haben,
daß erst der Verlust uns ganz ermessen läßt, was
wir an dem Freund besessen haben. So erfahren wir
erst jetzt, da die Lücke sichtbar wird, die dieser jähe
Tod in unseren Reihen reißt, was der Besitz von
Anton Schlingers Leben und Kraft gewesen ist.
Den Toten werden wir der Erde übergeben,
aber sein Geist, dieses vorbildliche Leben und
Streben des kämpfenden Proletariats, wird in
uns lebendig bleiben. Er möge anfeuernd wirken, aus
ihm mögen die Jungen, die jetzt aufwachsen, um einst
die Arbeit der Aelteren und Alten fortzusetzen,
den Ansporn empfangen, so wertvoll, so fruchtbar
zu wirken, wie dieser Tote im Laufe seines
ganzen Lebens gewirkt hat. Möge aus der Betrachtung
dieses Arbeiterlebens kräftiger Entschluß hervorsprießen:
der wird des rastlosen Kämpfers und Arbeiters
schönste Ehrung sein!
Schlingers Erben.
Anton Schlinger, an dessen Bahre heute das
gesamte deutsche Proletariat Oesterreichs trauert, hat
am 31. Juli sein 42. Lebensjahr vollendet. Zweiunddreißig
Jahre dieses Lebens gehörten der Arbeit. In
dieser Spanne hat er den Riesenweg vom böhmischen
Dorfjungen, dem Gemeinde und Staat das Wissen
einer vierklassigen Volksschule mitgaben, bis in die erste
Reihe der Vertrauensleute des Proletariats zurückgelegt.
Sein Vater war Kleinhäusler und als solcher
landwirtschaftlicher Arbeiter auf dem Gute des nachmaligen
deutschen Landsmannmininisters Peschka.
Noch im schulpflichtigen Alter zog Schlinger mit
seinem Vater auf Arbeit aus. Achtzehnjährig wanderte er
in die Fremde. Von der hemnatlichen Scholle Abtsdorf
trieb es ihn nach der Großstadt. In dem ihr
nördlich vorgelagerten Fabriksdorf fand er Arbeit.
Nach langein Suchen. Erst bei einem Gärtner. Dann
sah sich das Landkind, das vor kurzem noch mit dem
Schollenschlegel hinter dein Pfluge schritt, die Knollen
zu zerschlagen, in das Getriebe der eisernen
Ungetüme ringsum versetzt, als Hilfsarbeiter in der
Urbanschen Schraubenfabrik in Floridsdorf. Eine
Maschine von Fleisch und Blut inmitten der eisernen.
Aber er begriff rasch. Vom Hilfsarbeiter stieg er zum
Hobler auf, vom Hobler zum Fräser. Er suchte aber
auch das Wie und Warum seines neuen Lebens zu
begreifen. Etwas hatte er ja schon aus Büchern erfahren.
Der Pfarrer von Abtsdorf hatte seinen
Lesedurst genährt, aber nun eröffneten sich ihm ganz
andere Möglichkeiten. Arbeitsgenossen hatten ihn in
den Arbeiterbildungsverein eingeführt und bald war
er einer der eifrigsten Leser. Er verschlang förmlich
die kleine Vereinsbibliothek, und als sie ihm nicht
mehr genügte, wurde er Mitglied des Wiener Volksbildungsvereines,
um die Schätze der Büchereien
dieses Vereines zu heben. Erst kam Lassalle daran, dann
Philosophen: Kant, Hegel, endlich das „Kapital" von
Marx. Er biß sich durch. Die älteren Floridsdorfer
Genossen Pölz und Türk erinnern sich noch
genau des jungen Schlinger, dessen unstillbarer
Bildungsdrang allen ein leuchtendes Vorbild war. Er
suchte ab und zu auch schon weiterzugeben, was er
aus den Büchern empfangen hatte.
An der Gründung des „Verbandes der Arbeitervereine
von Floridsdorf und Umgebung" nahm der,
junge Genosse schon lebhaften Anteil und als der
Verband Unterrichtskurse veranstaltete, war er der
eifrigste Schüler. In dem Redekurs des Genossen
Freihofer gewann er rednerische Gewandtheit,
überwand er die Scheu vor dem öffentlichen Reden,
das er bald gut verwerten konnte. Sein erstes
Organisationsinteresse galt den Gewerkschaften. Es
war Anfang der Neunzigerjahre. Der Ausnahmszustand
mit seinen hemmenden Wirkungen war
vorüber, aber noch nicht ganz hatte sich die Arbeiterklasse
von den verworrenen anarchistischen Ideen
befreit. Zumal Floridsdorf, das ja ein Herd dieser
Propaganda gewesen. Als einer der ersten begriff
Schlinqer, wie wichtig die nüchterne Tagesarbeit des
gewerkschaftlichen Organisators ist, und da die Metallarbeiter
wieder eine Gruppe bildeten, war er im
Ortsgruppenausschuß. Die erste Wirkung war, daß ihn
die Firma Urban und Komp. maßregelte. Er fand
Arbeit und ein neues Agitationsfeld in der
Lokomotivfabrik.
Bald war er dort Hauptvertrauensmann, und
zwar einer, der sich nicht den Mund verbinden ließ.
Die mangelnden oder mangelhaften Schutzvorrichtungen
forderten Opfer um Opfer; da war es Schlinger, der
die öffentliche Aufmerksamkeit aus diesen Arbeitermord
lenkte und in großen Versammlungen zum Ankläger
der Betriebsleitung wurde. Dieser Ankläger blieb
er weiter und er bekannte sich um so freudiger
dazu, als er in der sehr begabten Arbeiterin
Kathi Urban, die er im Arbeiterbildungsverein
kennen gelernt hatte, eine Lebensgefährtin fand, die
verstand, um was es ging. Sie war sein guter
Genius. Die Ehe war ihm kein Hindernis, seinen
vielen Verpflichtungen, die er nach und nach übernehmen
mußte, nachzukommen. Abend um Abend war
er in Versammlungen und Sitzungen. Seine tapfere
und kluge Frau stand ihm helfend und beratend zur
Seite. Nur den Sonntagnachmittag verbrachte er im
Kreise der Seinen.
So stieg er auf von Verantwortung zu Verantwortung.
Erst Obmann der Metallarbeiter, dann
von 1894 ab, da er auch schon in die Wiener Lokalorganisation
entsendet worden war, auch politischer Vertrauensmann
in der ersten Reihe, später an der
Spitze. In den Wahlrechtskämpfen der
Neunzigerjahre marschierte er voran. Die Schaffung
der fünften Kurie bringt im Kampfe einen Stillstand,
umsomehr aber organisatorische Arbeit. Der achte
niederösterreiche
Wahlkreis (Viertel unter dem Manhartsberg)
umfaßte fünfhundert Orte. Der Sitz der Organisation
ist Floridsdorf. Womöglich in allen Orten
braucht man Vertrauensleute. Hat man sie, dann muß
mit ihnen die Verbindung aufrecht erhalten werden. In
dem von Schlinger begründeten „Wähler" ist dieses
geistige Verbindungsmittel geschaffen. Schlinger ist
Redakteur. Er greift zur Feder und führt sie auch
weiter, als aus dem „Wähler" der „Volksbote" wird.
Alles ein Nebenamt. Bis 1899 ist er ja Fabriksarbeiter.
Wieder ereilt ihn das Schicksal der Maßregelung.
Die Bezirkskrankenkasse macht ihn zum
Kontrollor. Auch hier ist der rechte Mann auf dem
rechten Platze. Pflichttreue, Umsicht und entgegenkommendes
Wesen zeichnen ihn aus. Zur Achtung,
die ihm längst geworden, gesellt sich die Liebe seiner
Mitkämpfer. 1900 wird er Wahlkreisvertrauensmann.
Auch hier derselbe unermüdliche
Mann, der sich nun auch um die engeren
Ortsinteressen zu bekümmern beginnt. 1903 ist Wahl
in den Gemeindeausschuß von Floridsdorf. Im dritten
Wahlkörper bewerben sich er und neun
andere Parteigenossen um die Stimmen der
Wähler und sie erobern den Wahlkörper. In
die christlichsoziale Gemeindestube vor den
Toren der Lueger-Stadt ist Bresche gelegt.
Das beschleunigt die Einverleibung. 1905 ist Schlinger
Gemeinderat der Stadt Wien und er blieb es bei zweimaliger
Nachwahl bis zu seinem Tode — ein unermüdlicher
und warmer Verfechter der Interessen des Proletariats
dieses Industriebezirkes. Er war der ewige Mahner,
daß Wien seine Versprechungen einlösen möge, daß
endlich das Spital gebaut werde, daß Floridsdorf
Wien durch guten Verkehr näher gebracht werde, und
er enthüllte auch die aufsehenerregenden Floridsdorfer
Versatzamts- und Grundverkaufsgeschichten. Noch in
der letzten Gemeinderatssitzung vom 8. Oktober ergriff
er einigemale das Wort, das nie herausfordernd, aber
immer unerbittlich sachlich war. Die Genossen des
gemeinderätlichen Klubs wählten ihn zum Obmann.
Viel verdankt Floridsdorf als Stadtteil seinem Wirken.
Auch jetzt noch studierte er. 1908 machte er die
Sommerparteischule in Bodenbach als einer ihrer
eifrigsten Schüler mit.
Seine schier unverwüstliche Arbeitskraft hat der Partei
auch den Parlamentssitz des Städtekreises Klosterneuburg-Krems
im Jahre 1911 heimgebracht. Er befreite damit
das öffentliche Leben von Herrn Weidenhoffer
unerquicklichen Angedenkens. Damit hatte sich aber
Schlinger selbst eine neue Pflichtenlast auferlegt. Auch
im Parlament stellte er seinen Mann — im Hause
und in den Ausschüssen, in denen er wirkte: im
Teuerungs- und im Weinkulturausschuß, wo er es
namentlich den agrarischen Mitgliedern durch seine
genaue Kenntnis landwirtschaftlicher Arbeit erschwerte,
unsachlich zu werden oder Dinge zu erzählen, die nicht
stimmen.
Die tückische Krankheit, die ihm nun ans Leben
ging, überfiel ihn schon im heurigen Frühjahr.
Die akuten Erscheinungen, die in der
vorigen Woche auftauchten, ließen erkennen,
daß höchste Gefahr ist. Schlinger entschloß sich wohl
sofort zur Operation, obgleich gerade um diese Zeit
seine Familie neuen Zuwachs bekam — aber es war
schon zu spät. Der Krankheitsprozeß war schon zu
vorgeschritten. Die Kunst der Aerzte konnte die Katastrophe
nicht aufhalten. Gestern vormittag um
1/2 12 Uhr verschied er. An seiner Bahre trauern mit
seiner treuen Gefährtin vier Kinder.
Ein wackerer Mensch ist mit Anton Schlinger
dahingegangen, ein unermüdlicher, selbstloser Arbeiter
für die Gegenwartsforderungen der Sozialdemokratie
und für ihre letzten Ziele. Wie das Leben und Ringen
des Proletariats, so liegt sein eigenes Leben und
Ringen nun vor uns, den rückschauend Trauernden.
Er hat dem Proletariat alles gegeben, was er
hatte. Danken wir es ihm, indem wir ihm nachleben.
Trauerkundgebnng im Sozialdemokratischen Klub.
Zu Beginn der gestrigen Klubsitzung der Fraktion der
deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten pries Pernerstorfer
das Andenken Schlingers: „Er war keiner von den
Lautesten, aber einer von den Tätigsten!" In tiefer Bewegung
hörten die Genossen die Worte warmen Gedenkens.
Die Parlamentsfahnen sind auf Halbmast, vom Parteihause
und vom Rathause wehen Trauerfahnen.
Die steiermärkische Landesparteivertretung sprach
der
niederösterreichen telegraphisch das Beileid aus.
Die Gegner über Schlinger.
Welcher Achtung sich Genosse Schlinger auch im Kreise
der Gegner erfreute, zeigt ein Bericht, den der „Bote für den
Städtewahlkreis Klosterneuburg und Korneuburg"
über die Versammlung, in der er seinen Rechenschaftsbericht
ablegte und die am 18. Jänner d. J. in Korneuburg
stattfand, veröffentlichte. Das christlichsoziale Organ
schrieb damals: „Uns war bei diesem Anlaß als unbeteiligten
Zuhörern Gelegenheit geboten, einen Vergleich zu ziehen zwischen
dem Verhalten des ehemaligen deutschfreiheitlichen Abgeordneten
Dr. Weidenhoffer und jenem Schlingers. Wir hatten Gelegenheit,
den oft mehr als anmaßenden, manchmal geradezu unerträglichen
provokatorischen Reden des akademisch verbildeten sogenannten
Volksvertreters zuzuhören, dessen persönliches Verhalten
selbst bei seinen eigenen Gesinnungsgenossen nur allzuoft
ein höchst unbehagliches Gefühl auslöste, und konnten — so
schwer dieses Geständnis vielleicht in gewisser Beziehung auch
sein mag — dem einfachen Mann aus dem Volke,
welcher in meisterhaft sachlicherArt seine
schwierige Aufgabe löste, unsere Anerkennung
nicht versagen. Wenn wir auch noch so
sehr bedauern, daß unser Wahlkreis von einem nichtbürgerlichen
Abgeordneten im Parlament vertreten wird, die Tatsache
muß anerkannt werden, daß Schlinger redlich
bestrebt ist, seine Pflichtcn zu erfüllen
und jede Phrasendrescherei zu vermeiden."
Das Leichenbegängnis.
Das Leichenbegängnis deS Genossen Schlinger findet
morgen Mittwoch, nachmittags präzise 4 Uhr, vom
Trauerhause, Angererstraße Nr. 14, Arbeiterheim Floridsdorf,
aus statt.
Die Beerdigung erfolgt im
Groß-Jedlersdorfer Friedhof.
Gleichheit vom 25.10.1912, Seite 6:
Abgeordneter Anton Schlinger gestorben.
Abgeordneter Genosse Anton Schlinger ist Montag den
21. Oktober plötzlich gestorben.
In dem leider so früh verstorbenen Gen. Schlinger
verliert die Partei einen hervorragenden Organisator und
Agitator, der im Floridsdorfer Industriebezirk und in
Niederösterreich
überhaupt in Jahrzehntelanger unermüdlicher Arbeit
Großes geleistet hat. Sowohl die Partei- wie die Gewerkschaftsorganisation
besaß in Schlinger einen aufopferungsvollen
Kämpfer, der lange Jahre hindurch bei keiner Werkstättenversammlung,
bei keiner Straßenbesprechusg fehlte. Die
mustergültige Orgasisation im Floridsdorfer Bezirk ist zum
großen Teil sein Werk.
Schlinger ist am vorigen Mittwoch an einer akulanten
Blinddarmentzündung erkrankt. Er wurde in das Sanatorium
Fürth überführt, wo sofort die allem Anscheine nach gelungene
Operation vorgenommen wurde. Der anfänglich bedenkliche
Zustand des Patienten hat sich in den letzten Tagen gebessert,
so daß allgemein seine Wiederherstellung in wenigen Tagen
zu erwarten war. Sonntag trat ein Rückschlag ein und
Montag ist der brave Genosse verschieden.
Genosse Schlinger vertrat im Wiener Gemeinderat den
Bezirk Floridsdorf (4. Wahlkörper) und im
Reichsrat den
36. Reichsratswahlbezirk (Krems-Stein-Korneuburg-Klosterneuburg-Stockerau).
Schlinger wurde in der Stichwahl gegen
den bekannten Dr. Weidenhoffer gewählt.
Die Partei wird dem treuen Kämpfer ein bleibendes
Andenken bewahren.
Quelle: Dieser Text basiert auf dem Artikel
Anton_Schlinger aus der freien Enzyklopädie
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Bilder: www.nikles.net, Anton Schlinger, http://www.abtsdorf.eu/berichte--2012.html, gemeinfrei, Arbeiter Zeitung vom 22.10.1912, Seite 1 und 2, Gleichheit vom 25.10.1912, Seite 6.