Person - Friedrich Wiesner
Friedrich Wiesner, auch Friedrich Ritter von Wiesner (* 27. Oktober 1871 in Mariabrunn; † 5. November 1951 in Wien) war ein österreichischer Jurist und Diplomat.
Jugend und Ausbildung: Friedrich Wiesner wurde als Sohn von Agnes und
Julius Wiesner im Wiener Vorort Mariabrunn im damaligen Niederösterreich geboren. Nach Besuch des Gymnasiums in Wien und Kremsmünster diente er als Einjährig-Freiwilliger. Er lernte Französisch, Englisch, Italienisch und Tschechisch und studierte Rechts- und Staatswissenschaften an der
Universität Wien. 1896 promovierte er und wurde Richter in Baden bei Wien und Wien.
Da sein Vater, ein angesehener Botaniker, 1909 in den erblichen Ritterstand erhoben wurde, lautete Friedrichs Name von da an bis 1919 Friedrich Ritter von Wiesner.
Karriere im Staatsdienst: 1911 trat Friedrich Ritter von Wiesner als Ministerialsekretär ins k.u.k. Ministerium des Äußern ein. Zu Jahresende 1912 wurde er Oberstleutnant in der Evidenz der k.k. Landwehr. 1913 wurde er im Außenministerium Sektionsrat.
Während der Julikrise 1914 leitete Wiesner die Sonderkommission zur Untersuchung des Mordes am Thronfolger Franz Ferdinand.
Zur Untersuchung des Attentats von Sarajevo: Nach Konferenzen im Ministerium und Studium der bereits in Wien vorhandenen Akten fuhr Friedrich von Wiesner am 11. Juli 1914 nach Sarajevo, wo er sich sogleich mit General Oskar Potiorek und anderen Persönlichkeiten besprach. Er sammelte Material, mit dem monarchie-feindliche Tätigkeiten Serbiens, und damit eine indirekte Mitschuld der serbischen Regierung an dem Attentat bewiesen werden sollte. Er ging dabei objektiv und gewissenhaft vor. Am 13. Juli 1914 übersandte er als Abschluss seiner Arbeit ein Telegramm in zwei Teilen an das Außenamt nach Wien:
Erster Teil:
„Daß hiesige großserbische Propaganda von Serbien aus – abgesehen von Presse – auch durch Vereine und sonstige Organisationen betrieben wird, und daß dies unter Förderung sowie mit Wissen und Billigung serbischer Regierung geschieht, ist hier Überzeugung aller maßgebenden Kreise.
Das mir als Basis dieser Überzeugungen von Zivil- und Militärbehörden vorgelegte Material qualifiziert sich wie folgt: Material aus Zeit vor Attentat bietet keine Anhaltspunkte für Förderung der Propaganda durch serbische Regierung. Dafür, daß diese Bewegung von Serbien aus, unter Duldung seitens serbischer Regierung, von Vereinen genährt wird, ist Material, wenn auch dürftig, doch hinreichend.
Untersuchung über Attentat.
Mitwissenschaft serbischer Regierung an der Leitung des Attentats oder dessen Vorbereitung und Beistellung der Waffen durch nichts erwiesen oder auch nur zu vermuten. Es bestehen vielmehr Anhaltspunkte, dies als ausgeschlossen anzusehen.“
Zweiter Teil:
„Durch Aussagen Beschuldigter kaum anfechtbar festgestellt, daß Attentat in Belgrad beschlossen und unter Mitwirkung serbischen Staatsbeamten Ciganovic’ und Major Tankošic’ vorbereitet, von welchen beiden Bomben, Brownings, Munition und Zyankali beigestellt. Mitwirkung Pribicevic’ nicht festgestellt, und beruhen die ersten Meldungen hierüber auf bedauerlichem Mißverständnisse erhebender Polizeiorgane.
Ursprung Bomben aus serbischem Armeemagazin Kragujevac objektiv einwandfrei erwiesen, doch keine Anhaltspunkte dafür, daß erst jetzt ad hoc Magazinen entnommen, da Bomben aus Vorräten Komitadschis vom Kriege stammen können.
Auf Grund Aussagen Beschuldigter kaum zweifelhaft, daß Princip, Cabrinovic, Grabez mit Bomben und Waffen auf Veranlassung Ciganovic’ von serbischen Organen geheimnisvoll über Grenze nach Bosnien geschmuggelt. Diese organisierten Transporte von Grenzhauptmännern Schabatz und Ložnica geleitet und von Finanzwachorganen durchgeführt. Wenn auch nicht festgestellt, ob diese Zweck der Reise kannten, mußten selbe doch geheimnisvolle Mission annehmen.
Sonstige Erhebungen nach Attentat geben Einblick in Organisierung der Propaganda der „Narodna odbrana“. Enthalten wertvolles verwertbares Material, das jedoch noch nicht nachgeprüft; schleunigste Erhebungen im Zuge.
Falls bei meiner Abreise bestandene Absichten noch bestehen, könnten Forderungen erweitert werden:
A) Unterdrückung Mitwirkung serbischer Regierungsorgane an Schmuggel von Personen und Gegenständen über Grenze.
B) Entlassung serbischer Grenzhauptmänner Schabatz und Ložnica sowie beteiligter Finanzwachorgane.
C) Strafverfahren gegen Ciganvic und Tankošic.
Abreise heute abends, ankomme Wien Dienstag abends und begebe mich sofort ins Ministerium.
Mündliche Ergänzung des Berichtes nötig.“
Die Regierung hatte gehofft, Wiesners Untersuchung würde einen eindeutigen Beweis für die Mitschuld Serbiens erbringen. Damit könnte ein militärisches Eingreifen international leicht gerechtfertigt werden, und die Gefahr, dass andere Großmächte in den Konflikt eingreifen würden, wäre geringer. Das Telegramm lieferte nun aber keine solchen Beweise. Allerdings zeigte es Verstrickungen gewisser Kreise im serbischen Staat auf, weshalb Wiesner vorschlug, die zuvor bereits beschlossenen Forderungen an Serbien durch die im Telegramm angeführten Punkte zu erweitern. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hing nicht von Wiesners Bericht ab.
Nach dem Krieg wurden häufig nur der erste, Serbien entlastende Teil des Telegramms zitiert, wenn argumentiert werden sollte, dass die Maßnahmen Österreich-Ungarns gegen Serbien völlig überzogen gewesen seien und Österreich-Ungarn somit die alleinige Schuld am Krieg trage.
Weitere Tätigkeiten im Staatsdienst: Von August 1914 bis 1917 war Friedrich von Wiesner Vertreter des Außenministeriums beim Armeeoberkommando in Neu Sandez bzw. später in Teschen. Den Oberbefehlshaber der Truppen,
Franz Conrad von Hötzendorf, hielt Wiesner für ungeeignet, er hätte den Kaiser Franz Joseph selbst als Kommandanten vorgezogen.
Am 18. Februar 1917 wurde er Pressechef im Außenministerium und bekleidete dieses Amt bis zum Ende der Monarchie. Er vertrat das Außenministerium von Dezember 1917 bis zum Mai 1918 bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk. 1918 wurde er auch außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister.
Er hatte Einblick in Details der Sixtus-Affäre, in deren Verlauf sein Vorgesetzter, Außenminister Ottokar Graf Czernin aus seinem Amt entlassen wurde. Das freundschaftliche Verhältnis der beiden Männer litt später an unterschiedlichen Darstellungen der Ereignisse.
Zum Ende des Weltkrieges und nach der Ausrufung der Republik Deutschösterreich wurde Friedrich von Wiesner stellvertretender Leiter des zu liquidierenden Außenministeriums unter dem letzten Außenminister der Doppelmonarchie, Ludwig Freiherr von Flotow.
1919 trat er in den Ruhestand.
Tätigkeiten in der Ersten Republik: Anfang September 1919 führte Wiesner Gespräche mit Staatskanzler Karl Renner über eine Funktion als Leiter der Außenpolitik in der neuen Republik. Für das Scheitern dieser Verhandlungen wurden später unterschiedliche Gründe angeführt: laut Renner waren es Widerständen im radikalen Flügel der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Wiesners Frau Julia (eigentlich Juliana, geborene Kober) gab an, Wiesner hätte sich dem Eid an den Kaiser verpflichtet gefühlt und sich daher geweigert, mit den neuen Machthabern zusammenzuarbeiten.
Wiesner blieb aber mit Renner in Kontakt. Im Oktober 1919 reiste Wiesner nach Deutsch-Westungarn und berichtete Renner über die dortige Stimmung in der Bevölkerung. Auch spätere Korrespondenzen lassen auf ein gutes Verhältnis zwischen den beiden schließen.
Nach seiner Pensionierung arbeitete Wiesner journalistisch, seine Aufsätze zu Themen wie Habsburg, Erster Weltkrieg, die Kriegsschuldfrage oder die Nachfolgestaaten der Doppelmonarchie erschienen in verschiedenen Zeitschriften in Österreich und im Ausland. Er war auch an einem Buchprojekt über den Ersten Weltkrieg beteiligt.
Betätigung in der legitimistischen Bewegung: Wiesner betätigte sich in der legitimistischen Organisation Reichsbund der Österreicher und wurde 1924 deren Vizepräsident, 1928 geschäftsführender Vizepräsident. Für „Der Österreicher“, das Organ des Reichsbunds, verfasste er in den 1930er Jahren viele Artikel. Ab etwa 1928 war persönlicher oder brieflicher Verkehr mit der exilierten Kaiserfamilie nur über Wiesners Vermittlung möglich, dadurch übte er de-facto eine Zensur darüber aus, wer nach Steenokkerzeel fahren durfte. Er selbst besuchte die Familie Habsburg auch des Öfteren.
Wiesner war 1932 führend an der Gründung des legitimistischen Dachverbands Eiserner Ring beteiligt und übernahm dort den geschäftsführenden Vorsitz. In der Presse wurde er als Führer der österreichischen Legitimisten bezeichnet. Bei legitimistischen Veranstaltungen trat er mehrmals als Festredner auf. Wiesner unterstützte das autoritäre Regime von Engelbert Dollfuß und die in dieser Zeit vermehrt vorkommenden Ernennungen Otto von Habsburgs zum Ehrenbürger durch diverse Gemeinden.
Am 19. Februar 1938 war er es, der Kurt Schuschnigg den Brief Otto Habsburgs überbrachte, in dem Habsburg Schuschnigg aufforderte, ihm die Kanzlerschaft zu übergeben.
Zeit des Nationalsozialismus und Lebensabend: Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland wurde Wiesner 1938 wie viele andere Legitimisten von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Seine Frau setzte sich beim Generalstaatsanwalt Welsch für seine Freilassung ein. Am 21. Jänner 1939 wurde Wiesner aus der „Schutzhaft“ entlassen, musste sich jedoch auf polizeiliche Anordnung in Würzburg niederlassen. Ende 1939 durfte Wiesner wieder nach Wien zurückkehren.
Friedrich Wiesner starb 1951 im Alter von 80 Jahren und wurde im Grab der Familie am
Friedhof Grinzing (Gruppe: 10, Reihe: G2, Nummer: 4) beerdigt. Er war verheiratet (10. April 1917), aus der Ehe gingen keine Kinder hervor.
Ehrungen:
Orden der Eisernen Krone I. Klasse
Großkreuz des Franz-Joseph-Ordens mit der Kriegsdekoration
Eisernes Kreuz I. Klasse
Signum Laudis
1917 Ernennung zum Hof- und Ministerialrat
Innsbrucker Nachrichten vom 13.11.1951, Seite 4:
Gesandten a. D. Dr. Friedrich Wiesner
zum Gedenken.
Kürzlich ist in Wien, wie wir berichteten, der
a. o. Gesandte und bevollmächtigte Minister a. D.
Dr. Friedrich Wiesner wenige Tage nach seinem
80. Geburtstag gestorben. Mit ihm wurde einer
der hervorragendsten Altösterreicher zu Grabe
getragen. Er entstammte einer angesehenen Wiener
Familie, war der Sohn des mehrmaligen Rektors
der
Universität Wien Dr. Julius Wiesner,
hatte sich ursprünglich dem Richterstand gewidmet,
wurde jedoch 1911 ins k.u.k. Ministerium
des Aeußern berufen, wo er in wichtigen Missionen
verwendet wurde. Nach dem Umsturz 1918
trat er in den Ruhestand und widmete sich der
Pflege der völkerverbindenden österreichischen
Tradition. 1938 wurde er ins Konzentrationslager
verschleppt und mußte nachher bis 1945 außer
halb Oesterreichs verbleiben. Gemeinsam mit
seiner Gattin hatte er sich ununterbrochen karitativ betätigt.
Ein ausgezeichneter Diplomat, Oesterreicher durch und durch, ein hilfsbereiter, guter
ritterlicher Charakter, ein hilfsbereiter, guter
Mensch - so werden seine Freunde und Bekannten
sein Bild in Erinnerung behalten.
Wiener Zeitung vom 12.10.1916, Seite 21 und 22:
Feuilleton
Julius Wiesner.
Vor gerade sechzig Jahren veröffentlichte F. S. Pluskal
eine kurze Übersicht der Geschichte der Pflanzenkunde
in Mähren, worin er wörtlich schreibt: „Der tätigste
Florist Brünns ist in der neuesten Zeit Herr
Julius Wiesner,
dessen höchst schätzbare Arbeit. „Flora der
Umgebung Berlinns", eine wahre Zierde des Programms
der k.k. Oberrealschule in Brünn, 1854. ist." Dieser
sechzehnjährige Realschüler, dem die ungewöhnliche
Ehrung zuteil wurde, sich mit einem fachwissenschaftlichen
Beitrage im Jahresberichte seiner Studienanstalt
abgedruckt zu sehen, ist identisch mit dem Montag Abends
in Wien als
Herrenhausmitglied, Hofrat, pensionierter
Universitätsprofessor, ordentliches Mitglied der Kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften und Inhaber hoher
Orden und Titel verstorbenen berühmten Botaniker
Dr. Julius Ritter von Wiesner. Der Zauber der
Scientia amabilis hat auch diese starke Persönlichkeit
ganz in ihren Bann gezwungen und zu Leistungen
begeistert, die Weltruf gewonnen haben.
Im Oktober 1909 war mit Wiesner, dem anläßlich
seines Übertrittes in den bleibenden Ruhestand die
Erhebung in den Ritterftand zuteil wurde, von der
ersten Universität Österreichs ein Lehrer und Gelehrter
geschieden, dem es vergönnt war, durch zwei Generationen
die österreichische Forschung auch weithin im
Auslande zu Geltung und Ansehen zu bringen. Aus
der Schule des genialen Pflanzenanatomen und
Pflanzenphysiologen Franz Unger, aus der Epoche
Brückes, des letzten großen Universalisten auf dem
Gebiete der Naturwissenschaften, hervorgegangen, hatte
Wiesner in den vergangenen 55 Jahren mit seinem
Sehen, Beobachten, zielbewußten Experimentieren der
Naturforschung im allgemeinen, der Botanik im besonderen
als einer ihrer eifrigsten und erfolgreichsten
Vertreter gedient. Ans seiner Feder stammten nahezu
250 Publikationen, die mit den schüchternen Mitteilungen
des Oberrealschülers über die Flora seiner
engeren mährischen Heimat begannen uud zu den
Hanptwerken des gefeierten wissenschaftlichen Botanikers
und glänzenden Fachschriftstellers fortschritten: „Die
Rohstoffe des Pflanzenreiches" (2. Auflage in zwei
Bänden, 1900 bis 1903). „Die Elemente der wissenschaftlichen
Botanik" (drei wiederholt aufgelegte und in mehrere
Sprachen übersetzte Bände), dann die monographischen
Untersuchungen über Chlorophyll, heliotropische Erscheinungen,
Mikroskopie des Papieres u. s. w.; sie
bedeuten Marksteine in der Geschichte der realen
Wissenschaften. Das von Wiesner begründete Pflanzen-
Physiologische Institut der Wiener Universität, das
früher so bescheiden in den Parterreräumen des Hauses
in der Türkenstraße Nr. 3 untergebracht war, die erste
Heimstätte für die jetzt so mächtig entwickelte Pflanzenphysiologie,
gilt seit seiner Übersiedlung in das
Universitätsgebäude als eines der besteingerichteten der
Welt. Brücke nachstrebend, hat sich Wiesner mit bewunderungswürdiger
Vielseitigkeit auf weit auseinanderliegenden
Wissensgebieten betätigt und dabei mit dem
Blicke auf das Ganze und dem ingeniösen Eindringen
ins Elementare die letzten Zusammenhänge aufzudecken
gesucht.
Geboren im Jahre 1838, war Wiesner schon 1860
Doktor der Philosophie und habilitierte sich ein Jahr später
für Botanik am Wiener Polytechnischen Institut. In
dieser Zeit erschienen seine grundlegenden Untersuchungen
über die Anwendung der Pflanzenanatomie
auf technische Fragen, welche die Begründung der
nunmehr zum Lehrgegenstande an technischen Hochschulen
gewordenen technischen Mikroskopie und die
wissenschaftliche Begründung der technischen Warenkunde
zur Folge hatten. Der Mitschöpfer der technischen
Mikroskopie beschäftigte sich auch mit dem Problem
der Probleme, der Organisation der Zelle. Wichtig
sind ferner Wiesners Arbeiten über den Einfluß der
Würmer und des Lichtes anf die Transpiration
der Pflanzen und über den Lichtgenuß
der Pflanzen, zu dessen Erforschung er als
jngendkräftiger Sechziger die Reisen in vier
Weltteile unternahm, alle Zonen der nördlichen, zuN
Teil auch der südlichen Halbkugel durchquerte und
ansehnliche Seehöhen betrat. Wiesners scharfe Methodik,
die ihn auch zu einem so erfolgreichen Lehrer für
viele Tausende gemacht hat, die sich seines lebendigen
Vortrages, seiner anregungsvollen persönlichen Förderung
im Praktikum zu erfreuen hatten, führte ihn
schon 1881 dazu, Charles Darwin in einigen Punkten
wesentlich zu berichtigen, die das Bewegungsvermögen
der Pflanze, insbesondere die von dem englischen
Forscher nicht immer zutreffend gedeutete Reizbarkeit
der Wurzelspitze betrafen. „In treuer Opposition,
aber in unveränderlicher Verehrung" übersandte
Wiesner sein Buch Darwin, der ein halbes Jahr
vor seinem Tode für die gütige Art, mit der er
samt seinen Irrtümern behandelt wurde, aufrichtig
dankte (Brief an Wiesner vom 24. April 1882).
Was Wiesner diesen Triumph verschafft hatte,
war wieder die ruhige, ziel- und zweckbewußte, vom
Phantastischen und Spekulativen ungetrübte Methode,
bei ja überhaupt die bleibenden Resultate aus dem
„Jahrhundert der Naturforschung" zu danken sind.
28 Jahre nach der für die Geschichte der Naturforschung
in Österreich so belangreichen Erörterung über
das Bewegungsvermögen der Pflanze fand Wiesner,
dessen geistiges Streben mit der Ausreifung des fortschreitenden
Alters sich immer umfassenderen Fragen
zuwandte, Gelegenheit zur völligen Auseinandersetzung
mit dem Darwinismus, als die gebildete Welt 1909
Charles Darwins 100. Geburtstag beging. „Die
Selektionslehre", schloß Wiesner „ist als gescheitert
zu betrachten, und der Kampf ums Dasein hat sich
nicht als jene Macht erwiesen, welche, wie Darwin
nachweisen wollte, die stufenweise Entwicklung der
Organismen durch Auslese bewirkt. ... Das Bild
Darwins als Naturforschers wird durch diese, soweit
sie ihn selbst betreffen, nur schwachen Schatten nicht
beeinträchtigt."
Hatte Wiesner durch den Nachweis, daß das
sogenannte „Lungenpigment" nichts anderes ist als
Kohlenpartikelchen, das Medizinische gestreift, so kam er
mit der mikroskopischen Untersuchung der Papiere aus
der Sammlung „Papyrus Erzherzog Rainer" auf das
Paläographische und beseitigte den alten Irrtum, daß
der Erfindung des Hadernpapieres die ckarta bombycina,
das aus reiner Baumwolle bereitete Papier,
vorausgegangen sei. Hiebei zeigte Wiesner auch, daß
die Erfindung des Hadernpapieres nicht, wie angenommen
wurde, an der Wende des 14. Jahrhunderts
in Europa von Deutschen und Italienern gemacht
wurde, sondern auf die Araber und die Chinesen
zurückzuverfolgen ist, die schon im vierten Jahrhundert
unserer Zeitrechnung Hadernpapier anfertigten. So
hat Julius Ritter von Wiesner von seinem Mikroskop
aus an der Lösung kulturgeschichtlicher Hauptfragen
mitgewirkt und wurde dabei immer durch das Rüstzeug
des tatsächlichen Befundes zum Siege geführt.
Aus bescheidenen bürgerlichen Verhältnissen hervorgegangen,
durch Mühsal und Entbehrung des Alltags
zu einem angesehenen Faktor in der Öffentlichkeit
emporsteigend, hat Wiesner nie die Verbindung von
Wissenschaft und praktischem Leben aufgegeben und
immer wieder den Weg zu diesem zurückgefunden.
Er hat den Satz des Helmholtz zu feinem Motto
gemacht:
„Wissen allein ist nicht der Zweck des Menschen
auf Erden ... Das Wissen muß sich im Leben auch
betätigen."
Weiters im Grab bestattet:
Julius Wiesner, HR Univ. Prof. Dr., Botaniker, * 20.01.1838 in Tschechen, Mähren, † 09.10.1916, Bestattungsdatum: 12.10.1916
Richard Wiesner, Univ.-Prof. Prim. Dr., † 14.10.1954, Bestattungsdatum: 16.10.1954
Amalia (Lilli) Wiesner, geb. Kahler, * 1889, † 25.01.1970, Bestattungsdatum: 28.01.1970
Agnes Wiesner, geb. Skrabl, * 1848, Bestattungsdatum: 26.11.1935
Juliana Wiesner (eigentlich Juliana), geborene Kober, Bestattungsdatum: 28.09.1949
Kurt Vyslouzil, Dkfm., * 15.03.1922, † 09.12.1997, Bestattungsdatum: 17.12.1997
Gertrude Henriette Anna Vyslouzil, Dr. phil., geb. Wiesner, * 16.02.1926, † 29.07.2014, Bestattungsdatum: 14.08.2014
Grabstein: Der Grabstein wurde vom österreichischen Steinmetzmeister und Begründer der modernen Steinmetzindustrie
Eduard Hauser (* 10. November 1840 in Wien; † 27. Februar 1915 ebenda) hergestellt.
Quelle: Text:
Wikipedia (erweitert), Bilder: www.nikles.net, Wiener Zeitung vom 12.10.1916, Seite 21 und 22, Innsbrucker Nachrichten vom 13.11.1951, Seite 4.