Person - Julius Wiesner
Julius von Wiesner (ab 1909 Ritter von), HR Univ. Prof. Dr., (* 20. Januar 1838 in Tschechen, Mähren; † 9. Oktober 1916 in Wien, Bestattungsdatum: 12. Oktober 1916) war ein österreichischer Botaniker.
Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet „Wiesner“.
Leben und Wirken: Wiesner studierte in Wien und Jena, wo er 1860 zum Dr. phil. promoviert wurde. 1861 wurde er Privatdozent, 1868 außerordentlicher Professor am Polytechnischen Institut Wien. 1870 wurde er ordentlicher Professor an der
Forstakademie Mariabrunn. Er war von 1873 bis 1909 ordentlicher Professor für Anatomie und Physiologie der Pflanzen an der
Universität Wien und hatte gleichzeitig bis 1880 ein Lehramt am Polytechnischen Institut Wien inne. 1883 unternahm er eine Reise nach Java (Buitenzorg). Weitere Reisen führten nach Lappland, Spitzbergen, in das Yellowstone-Gebiet, nach Indien und Ägypten. 1898/99 war er Rektor der
Universität Wien. Wiesner forschte auf den Gebieten der Pflanzenphysiologie (Licht- und Vegetationsprozesse, Chlorophyll, Wachstum und Bewegung), Pflanzenanatomie (Organisation der Zellwand) und über pflanzliche Rohstoffe.
Houston Stewart Chamberlain widmete Wiesner sein 1899 erschienenes Hauptwerk
Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. 1902 wurde Wiesner zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften und 1903 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Er wurde 1905 zum Mitglied des
Herrenhauses ernannt, 1909 wurde er in den Ritterstand erhoben. Seit 1909 war er korrespondierendes Mitglied der Académie des sciences in Paris und seit 1912 der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Er wurde am
Friedhof Grinzing (Gruppe: 10, Reihe: G2, Nummer: 4) bestattet.
Ehrungen:
Nach ihm ist die Pflanzengattung Wiesneria Micheli aus der Familie der Froschlöffelgewächse (Alismataceae) benannt.
Im Jahr 1953 wurde in Wien-Donaustadt (22. Bezirk) die Wiesnergasse nach ihm benannt.
Im Arkadenhof der
Wiener Universität – der Ruhmeshalle der
Universität – steht seit 1891 eine Büste von Wiesner. Im Rahmen von „Säuberungen“ durch die Nationalsozialisten Anfang November 1938 wurden zehn Skulpturen jüdischer oder vermeintlich jüdischer Professoren im Arkadenhof im Zusammenhang der „Langemarck-Feier“ umgestürzt oder mit Farbe beschmiert. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte der kommissarische Rektor Fritz Knoll eine Überprüfung der Arkadenhof-Plastiken veranlasst; auf seine Weisung hin wurden fünfzehn Monumente entfernt und in ein Depot gelagert, darunter diejenige von Julius Wiesner. Nach Kriegsende wurden im Jahr 1947 alle beschädigten und entfernten Denkmäler wieder im Arkadenhof aufgestellt.
Werke:
Die Gesetze der Riefentheilung an den Pflanzenaxen (1860)
Einleitung in die Technische Mikroskopie (1867)
Die technisch verwendeten Gummiarten, Harze und Balsame: ein Beitrag zur wissenschaftlichen Begründung der technischen Waarenkunde (1869)
Untersuchungen über den Einfluß, welchen Zufuhr und Entziehung von Wasser auf die Lebensthätigkeit der Hefezellen äußern (1869)
Die Rohstoffe des Pflanzenreiches (1873)
Die Entstehung des Chlorophylls in der Pflanze: eine physiologische Untersuchung (1877)
Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreiche (1878–80)
Das Bewegungsvermögen der Pflanzen. Eine kritische Studie über das gleichnamige Werk von Charles Darwin nebst neuen Untersuchungen (1881)
Elemente der wissenschaftlichen Botanik Band 1: Anatomie und Physiologie der Pflanzen (1881)
Elemente der wissenschaftlichen Botanik Band 2: Organographie und Systematik der Pflanzen (1884)
Elemente der wissenschaftlichen Botanik Band 3: Biologie der Pflanzen. Mit einem Anhange: Die historische Entwicklung der Botanik (1889)
Studien über das Welken von Blüthen und Laubsprossen (1883)
Untersuchungen über die Wachsthumsbewegungen der Wurzeln. Darwinische und geotropische Wurzelkrümmungen (1884)
Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen Zellhaut (1886)
Die mikroskopische Untersuchung des Papiers mit besonderer Berücksichtigung der ältesten orientalischen und europäischen Papiere (1887)
Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz (1892)
Pflanzenphysiologische Mittheilungen aus Buitenzorg (1894)
Die Nothwendigkeit des naturhistorischen Unterrichts im medicinischen Studium (1896)
Untersuchungen über die mechanische Wirkung des Regens auf die Pflanze. Nebst Beobachtungen und Bemerkungen über secundare Regenwirkungen (1897)
Die Beziehungen der Pflanzenphysiologie zu den anderen Wissenschaften. Inaugurationsrede (1898)
Über eine neue Form der falschen Dichotomie an Laubsprossen von Holzgewächsen (1898)
mit Max Bamberger: Die Rohstoffe des Pflanzenreiches. 2., umgearb. und erweit. Aufl., W. Engelmann, Leipzig 1900-03.
Studien über den Einfluss der Schwerkraft auf die Richtung der Pflanzenorgane (1902)
Die Entwicklung der Pflanzenphysiologie unter dem Einflusse anderer Wissenschaften (1904)
Philosophie der Botanik (1905)
Jan Ingen-Housz. Sein Leben und sein Wirken als Naturforscher und Arzt. Unter Mitwirk. v. Th. Escherich, E. Mach, R. v. Töply und R. Wegscheider (1905)
Elemente der wissenschaftlichen Botanik. 5., verb. und verm. Aufl., A. Hölder, Wien 1906
Der Lichtgenuß der Pflanzen. photometrische und physiologische Untersuchungen mit besonderer Rücksichtnahme auf Lebensweise, geographische Verbreitung und Kultur der Pflanzen (1907)
Natur, Geist, Technik. Ausgewählte Reden, Vortrage und Essays (1910)
Erschaffung, Entstehung, Entwicklung und über die Grenzen der Berechtigung des Entwicklungsgedankens (1916)
Wiener Zeitung vom 12.10.1916, Seite 21 und 22:
Feuilleton
Julius Wiesner.
Vor gerade sechzig Jahren veröffentlichte F. S. Pluskal
eine kurze Übersicht der Geschichte der Pflanzenkunde
in Mähren, worin er wörtlich schreibt: „Der tätigste
Florist Brünns ist in der neuesten Zeit Herr Julius
Wiesner, dessen höchst schätzbare Arbeit. „Flora der
Umgebung Berlinns", eine wahre Zierde des Programms
der k.k. Oberrealschule in Brünn, 1854. ist." Dieser
sechzehnjährige Realschüler, dem die ungewöhnliche
Ehrung zuteil wurde, sich mit einem fachwissenschaftlichen
Beitrage im Jahresberichte seiner Studienanstalt
abgedruckt zu sehen, ist identisch mit dem Montag Abends
in Wien als Herrenhausmitglied, Hofrat, pensionierter
Universitätsprofessor, ordentliches Mitglied der Kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften und Inhaber hoher
Orden und Titel verstorbenen berühmten Botaniker
Dr. Julius Ritter von Wiesner. Der Zauber der
Scientia amabilis hat auch diese starke Persönlichkeit
ganz in ihren Bann gezwungen und zu Leistungen
begeistert, die Weltruf gewonnen haben.
Im Oktober 1909 war mit Wiesner, dem anläßlich
seines Übertrittes in den bleibenden Ruhestand die
Erhebung in den Ritterftand zuteil wurde, von der
ersten Universität Österreichs ein Lehrer und Gelehrter
geschieden, dem es vergönnt war, durch zwei Generationen
die österreichische Forschung auch weithin im
Auslande zu Geltung und Ansehen zu bringen. Aus
der Schule des genialen Pflanzenanatomen und
Pflanzenphysiologen Franz Unger, aus der Epoche
Brückes, des letzten großen Universalisten auf dem
Gebiete der Naturwissenschaften, hervorgegangen, hatte
Wiesner in den vergangenen 55 Jahren mit seinem
Sehen, Beobachten, zielbewußten Experimentieren der
Naturforschung im allgemeinen, der Botanik im besonderen
als einer ihrer eifrigsten und erfolgreichsten
Vertreter gedient. Ans seiner Feder stammten nahezu
250 Publikationen, die mit den schüchternen Mitteilungen
des Oberrealschülers über die Flora seiner
engeren mährischen Heimat begannen uud zu den
Hanptwerken des gefeierten wissenschaftlichen Botanikers
und glänzenden Fachschriftstellers fortschritten: „Die
Rohstoffe des Pflanzenreiches" (2. Auflage in zwei
Bänden, 1900 bis 1903). „Die Elemente der wissenschaftlichen
Botanik" (drei wiederholt aufgelegte und in mehrere
Sprachen übersetzte Bände), dann die monographischen
Untersuchungen über Chlorophyll, heliotropische Erscheinungen,
Mikroskopie des Papieres u. s. w.; sie
bedeuten Marksteine in der Geschichte der realen
Wissenschaften. Das von Wiesner begründete Pflanzen-
Physiologische Institut der Wiener Universität, das
früher so bescheiden in den Parterreräumen des Hauses
in der Türkenstraße Nr. 3 untergebracht war, die erste
Heimstätte für die jetzt so mächtig entwickelte Pflanzenphysiologie,
gilt seit seiner Übersiedlung in das
Universitätsgebäude als eines der besteingerichteten der
Welt. Brücke nachstrebend, hat sich Wiesner mit bewunderungswürdiger
Vielseitigkeit auf weit auseinanderliegenden
Wissensgebieten betätigt und dabei mit dem
Blicke auf das Ganze und dem ingeniösen Eindringen
ins Elementare die letzten Zusammenhänge aufzudecken
gesucht.
Geboren im Jahre 1838, war Wiesner schon 1860
Doktor der Philosophie und habilitierte sich ein Jahr später
für Botanik am Wiener Polytechnischen Institut. In
dieser Zeit erschienen seine grundlegenden Untersuchungen
über die Anwendung der Pflanzenanatomie
auf technische Fragen, welche die Begründung der
nunmehr zum Lehrgegenstande an technischen Hochschulen
gewordenen technischen Mikroskopie und die
wissenschaftliche Begründung der technischen Warenkunde
zur Folge hatten. Der Mitschöpfer der technischen
Mikroskopie beschäftigte sich auch mit dem Problem
der Probleme, der Organisation der Zelle. Wichtig
sind ferner Wiesners Arbeiten über den Einfluß der
Würmer und des Lichtes anf die Transpiration
der Pflanzen und über den Lichtgenuß
der Pflanzen, zu dessen Erforschung er als
jngendkräftiger Sechziger die Reisen in vier
Weltteile unternahm, alle Zonen der nördlichen, zuN
Teil auch der südlichen Halbkugel durchquerte und
ansehnliche Seehöhen betrat. Wiesners scharfe Methodik,
die ihn auch zu einem so erfolgreichen Lehrer für
viele Tausende gemacht hat, die sich seines lebendigen
Vortrages, seiner anregungsvollen persönlichen Förderung
im Praktikum zu erfreuen hatten, führte ihn
schon 1881 dazu, Charles Darwin in einigen Punkten
wesentlich zu berichtigen, die das Bewegungsvermögen
der Pflanze, insbesondere die von dem englischen
Forscher nicht immer zutreffend gedeutete Reizbarkeit
der Wurzelspitze betrafen. „In treuer Opposition,
aber in unveränderlicher Verehrung" übersandte
Wiesner sein Buch Darwin, der ein halbes Jahr
vor seinem Tode für die gütige Art, mit der er
samt seinen Irrtümern behandelt wurde, aufrichtig
dankte (Brief an Wiesner vom 24. April 1882).
Was Wiesner diesen Triumph verschafft hatte,
war wieder die ruhige, ziel- und zweckbewußte, vom
Phantastischen und Spekulativen ungetrübte Methode,
bei ja überhaupt die bleibenden Resultate aus dem
„Jahrhundert der Naturforschung" zu danken sind.
28 Jahre nach der für die Geschichte der Naturforschung
in Österreich so belangreichen Erörterung über
das Bewegungsvermögen der Pflanze fand Wiesner,
dessen geistiges Streben mit der Ausreifung des fortschreitenden
Alters sich immer umfassenderen Fragen
zuwandte, Gelegenheit zur völligen Auseinandersetzung
mit dem Darwinismus, als die gebildete Welt 1909
Charles Darwins 100. Geburtstag beging. „Die
Selektionslehre", schloß Wiesner „ist als gescheitert
zu betrachten, und der Kampf ums Dasein hat sich
nicht als jene Macht erwiesen, welche, wie Darwin
nachweisen wollte, die stufenweise Entwicklung der
Organismen durch Auslese bewirkt. ... Das Bild
Darwins als Naturforschers wird durch diese, soweit
sie ihn selbst betreffen, nur schwachen Schatten nicht
beeinträchtigt."
Hatte Wiesner durch den Nachweis, daß das
sogenannte „Lungenpigment" nichts anderes ist als
Kohlenpartikelchen, das Medizinische gestreift, so kam er
mit der mikroskopischen Untersuchung der Papiere aus
der Sammlung „Papyrus Erzherzog Rainer" auf das
Paläographische und beseitigte den alten Irrtum, daß
der Erfindung des Hadernpapieres die ckarta bombycina,
das aus reiner Baumwolle bereitete Papier,
vorausgegangen sei. Hiebei zeigte Wiesner auch, daß
die Erfindung des Hadernpapieres nicht, wie angenommen
wurde, an der Wende des 14. Jahrhunderts
in Europa von Deutschen und Italienern gemacht
wurde, sondern auf die Araber und die Chinesen
zurückzuverfolgen ist, die schon im vierten Jahrhundert
unserer Zeitrechnung Hadernpapier anfertigten. So
hat Julius Ritter von Wiesner von seinem Mikroskop
aus an der Lösung kulturgeschichtlicher Hauptfragen
mitgewirkt und wurde dabei immer durch das Rüstzeug
des tatsächlichen Befundes zum Siege geführt.
Aus bescheidenen bürgerlichen Verhältnissen hervorgegangen,
durch Mühsal und Entbehrung des Alltags
zu einem angesehenen Faktor in der Öffentlichkeit
emporsteigend, hat Wiesner nie die Verbindung von
Wissenschaft und praktischem Leben aufgegeben und
immer wieder den Weg zu diesem zurückgefunden.
Er hat den Satz des Helmholtz zu feinem Motto
gemacht:
„Wissen allein ist nicht der Zweck des Menschen
auf Erden ... Das Wissen muß sich im Leben auch
betätigen."
Weiters im Grab bestattet:
Friedrich Wiesner, Dr., Jurist und Diplomat, † 05.11.1951, Bestattungsdatum: 10.11.1951
Richard Wiesner, Univ.-Prof. Prim. Dr., † 14.10.1954, Bestattungsdatum: 16.10.1954
Amalia (Lilli) Wiesner, geb. Kahler, * 1889, † 25.01.1970, Bestattungsdatum: 28.01.1970
Agnes Wiesner, geb. Skrabl, * 1848, Bestattungsdatum: 26.11.1935
Juliana Wiesner (eigentlich Juliana), geborene Kober, Bestattungsdatum: 28.09.1949
Kurt Vyslouzil, Dkfm., * 15.03.1922, † 09.12.1997, Bestattungsdatum: 17.12.1997
Gertrude Henriette Anna Vyslouzil, Dr. phil., geb. Wiesner, * 16.02.1926, † 29.07.2014, Bestattungsdatum: 14.08.2014
Grabstein: Der Grabstein wurde vom österreichischen Steinmetzmeister und Begründer der modernen Steinmetzindustrie
Eduard Hauser (* 10. November 1840 in Wien; † 27. Februar 1915 ebenda) hergestellt.
Quelle: Text:
Wikipedia (erweitert), Bilder: www.nikles.net, Wiener Zeitung vom 12.10.1916, Seite 21 und 22, Innsbrucker Nachrichten vom 13.11.1951, Seite 4.