Person - Josef Wiedenhofer
Josef Wiedenhofer (* 19. März 1873 in Wien; † 4. November 1924 in Wien, Bestattungsdatum: 24. Mai 1929) war ein österreichischer
Politiker der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SdP), Gewerkschaftsfunktionär und Nationalratsabgeordneter.
Werdegang: Seine Eltern betrieben in der ehemaligen Stiftgasse in
Hernals,
in der heutigen Geblergasse, ein kleines Greislergeschäft.
Nach dem Besuch der Volks- und Bürgerschule ging er an die Staatsgewerbeschule und wurde Obmann der Metallarbeiter in Wien.
Auszeichnungen: Der 1924/25 gebaute
Wiedenhoferhof (auch Josef-Wiedenhofer-Hof), ein nach Plänen des Architekten Josef Frank errichteter Gemeindebau
im 17. Wiener Gemeindebezirk
Hernals wurde nach Josef Wiedenhofer benannt.
Die Wohnhausanlage umfasst 246 Wohnungen, hier erinnert auch Gedenktafel an den Gewerkschaftsfunktionär und Abgeordneten.
Politische Mandate:
4. März 1919 bis 9. November 1920: Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, SdP.
10. November 1920 bis zu seinem Tod am 4. November 1924: Mitglied des Nationalrates (I. und II. Gesetzgebungsperiode), SdP.
Der Abend vom 4.11.1924, Seite 2:
Nationalrat Josef Wiedenhofer gestorben.
Heute, um halb 7 Uhr früh, ist im
Jubiläumsspital der
Obmannstellvertreter des Oesterreichischen Metallarbeiterverbandes
Nationalrat Josef Wiedenhofer im Alter von
51 Jahren an Blutvergiftung gestorben. Vor ungefähr
vierzehn Tagen zog sich Nationalrat Wiedenhofer durch einen
engen Schuh eine ganz kleine, unbedeutende Fußwunde zu.
Er legte der Wunde keine Bedeutung bei, da er und seine
Familie nicht wußten, daß er schwer zuckerkrank sei. Als die
Wunde sich nach zwei bis drei Tagen verschlechterte, zog er
Aerzte zu Rate, obwohl er sich niemals gern an Aerzte wandte.
Auch die Aerzte übersahen das Vorhandensein der Zuckerkrankheit.
Nach einigen Tagen schwoll seine linke Hand an. Er wußte
nicht, was das bedeute; da aber die Geschwulst sehr schwere und
schmerzhafte Formen annahm, ging er in das Spital und wurde
dort von Prof. Singer untersucht. Erst dieser stellte fest, daß
Wiedenhofer schwer zuckerkrank sei.
Sofort wurde er in das
Jubiläumsspital aufgenommen.
Man operierte ihn mehrmals, aber die Aerzte hatten von Anfang
an keine Hoffnung auf Genesung. Nach mehrtägigem,
schmerzhaften Leiden ist er nun heute früh, verschieden.
Nationalrat Wiedenhofer wurde am 19. März 1873 in
Wien geboren. Seit dem Jahre 1892 gehörte er der Organisation
der Oesterreichischen Metallarbeiter an, zu deren Führern
er seit siebzehn Jahren gehörte. Im Februar 1919 wurde er in
die Nationalversammlung gewählt. In den jetzigen Nationalrat
wurde er von den Arbeitern
Ottakrings entsendet.
Neben Nationalrat Domes, dem Obmann der österreichischen
Metallarbeiterschaft, hat Wiedenhofer die Geschäfte der
Gewerkschaft und zuletzt den großen Kampf der Metallarbeiter
im September geführt. Bei Lohn-Verhandlungen war er einer
der geschicktesten und gewiegtesten Unterhändler.
Abgeordneter Wiedenhofer starb als Opfer seiner
Pflichttreue. Er hat sich niemals Zeit genommen, sich um
seinen körperlichen Zustand zu kümmern, wie er auch niemals
auf seine Familie Rücksicht nahm, wenn ihn die Pflicht
rief. Er war schon schwer leidend, als der große Metallarbeiterstreik
im September d. J. ausbrach, stellte sich aber
ganz in den Dienst.
Die Arbeiterbewegung Oesterreichs, besonders aber die
Wiener Arbeiter, und vor allem der Wiener Metallarbeiterverband
haben mit ihm einen pflichtgetreuen, unermüdlichen
Genossen, einen immer bereiten Kämpfer verloren.
Wiedenhofer hinterläßt eine Witwe und einen
22jährigen Sohn, der als Mechaniker bei den Siemens-Schuckert-Werken
beschäftigt ist.
Das Leichenbegängnis wird wahrscheinlich Ende dieser
Woche stattfinden. Der genaue Zeitpunkt wird vom Oesterreichischen
Metallarbeiterverband bekanntgegeben werden. Die
Metallarbeiter und die gesamte Wiener Arbeiterschaft werden
an dem Leichenbegängnis in Massen teilnehmen.
*
In Bekanntenkreisen des Verstorbenen wird mit ziemlicher
Erregung die Frage erörtert, ob nicht ein schweres
Versehen der Aerzte vorliegt, die Wiedenhofer noch vor
seinem Eintreffen ins Spital untersuchten und trotz der deutlichen
Zeichen einer gefährlichen Blutvergiftung an das Vorliegen
einer Zuckerkrankheit nicht gedacht halben. Diesbezüglich
wurde Wiedenhofer erst durch Prof. Singer untersucht, der die
schwere Zuckerkrankheit tatsächlich feststellte. Man spricht davon,
daß die behandelnden Aerzte zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Arbeiter Zeitung vom 5.11.1924, Seite 1 und 2:
Josef Wiedenhofer.
Es ist wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es
ist wie ein Schuß, der den ahnungslosen harmlosen
Wanderer aus dem Hinterhalt trifft. Als wir Hanusch
verloren haben, hatten wir jahrelang schon um das
Leben des kranken, zarten Mannes gezittert. Aber
Wiedenhofer sah vor kurzem noch aus wie die Verkörperung
der Kraft. Groß, breitschultrig, ein Hüne
an Gestatt. Und wie wuchtig schallte sein Wort, wie
dröhnend seine Stimme noch durch die Versammlungssäle!
Wie gewaltig erwiesen sich noch jüngst, noch in
dem letzten großen Ringen der Metallarbeiter sein
Kampfeswille, seine Tatkraft! Sein Tod wäre ein
furchtbarer, ein unersetzlicher Verlust für uns alle
gewesen, auch wenn er uns vorbereitet getroffen hätte.
Da er uns so jäh, so überraschend getroffen hat,
wollen es Tausende kaum glauben, kaum fassen,, daß
wir ihn wirklich verloren haben.
Er war ein Wiener Metallarbeiter. In
Hernals
war er geboren worden. Und als Metallarbeiter hatte
er, in den Wiener Großbetrieben, bei Greger, bei
Tanner und Lätsch, bei Siemens-Schuckert, gearbeitet.
Und das, was er gewesen war, der Wiener Metallarbeiter,
das ist er in seinem Denken und Fühlen, in
seiner Redeweise und in seinen Gebärden immer geblieben.
Das Vertrauen seiner Kollegen mochte ihn
zum Gewerkschaftsbeamten, das Vertrauen der Partei
zum Abgeordneten bestellen — er blieb immer, was
er gewesen, blieb in jeder Faser seines Wesens der
Wiener Metallarbeiter. August Bebel hat einmal
darüber gesprochen, wie leicht den gewesenen Arbeiter,
der in ein Gewerkschaftsbureau berufen wird, die
veränderte Arbeitsweise, die neue Art der Lebensführung
von seinen einstigen Arbeitskollegen entfernt
und ihnen entfremdet. Von Wiedenhofer galt das
nie, galt das weniger als von jedem anderen.
Die Kommunisten haben auch ihn oft einen
„Bonzen" geschimpft; nie hat das Hohnwort
auf den Führer einer großen Gewerkschaft weniger
zugetroffen als auf ihn. Man muß ihn in einer
Betriebsversammlung gesehen haben, wenn es heiß
und leidenschaftlich zuging. Wie er da mit den Kollegen
rang. Wie er in der Hitze des Gefechtes den
Rock abwarf, um in Hemdärmeln besser raufen zu
können, und mit der mächtigen Faust auf den Tisch
schlug und erregte Zwischenrufe schlagfertig zurückwies
und dann in der nächsten Viertelstunde mit den
Zwischenrufern zusammensaß und in Freundschaft
gemütlich weiterdiskutierte. Nein, das war kein Bonze.
Das war der Wiener Metallarbeiter mit seinem Kraftbewußtsein
und seiner Rauflust und seiner proletarischen
Rauheit und, doch seiner Wiener Gemütlichkeit
und seiner proletarischen Kollegialität. Und derselbe,
der er in der Betriebsversammlung war, war
er am Beratungstisch, wenn er mit den Unternehmern
verhandelte, war er im Sitzungssaal des
Parlaments.
Er hat unzählige Verhandlungen mit den Unternehmern
mit jenem ruhigen, höflichen Ernst geführt,
den ernste Verhandlungen erfordern; aber wenn er
auf Herrenhochmut stieß, dann brach sein proletarischer
Rebellentrotz wild hervor. Sein Faustschlag auf
den Beratungstisch am
Schwarzenbergplatz ist bei
den vorletzten Verhandlungen der Metallarbeiter
berühmt geworden. Und ebenso im
Parlament. Er
konnte stundenlang im Ausschuß für soziale
Verwaltung an ruhiger, sachlicher Beratung teilnehmen.
Aber wenn kapitalistische Brutalität den
Arbeitslosen, das armselige bißchen Unterstützung verweigerte,
dann dröhnte mit seiner gewaltigen Stimme
der ganze Zorn Zehntausender erbitterter Arbeitsloser
durch das Beratungszimmer. ...
Er hat sein Lebenswerk für seine Arbeitskollegen
geleistet: für die Wiener Metallarbeiter. An dem
gewaltigen Aufstieg ihrer gewerkschaftlichen Organisation
hatte er den stärksten Anteil. Aber er war auch darin
ein echter Wiener Metallarbeiter, daß ihm die gewerkschaftliche
Tätigkeit allein nie genügt hat. Als er noch
bei Siemens-Schuckert arbeitete, warb er auch schon
mit Feuereifer für die Partei. Da ging er
hinaus in die Dörfer im Marchfeld, die
Proletarier der Dörfer für den Sozialismus zu gewinnen.
Und als er in der Kriegszeit an der Organisation
der Ernährung für die Kriegsleistungsbetriebe
tätigen Anteil nahm, geriet er auch in unsere Konsumgenossenschaftsbewegung hinein.
Auch in ihrem Rate
ist er gesessen. So hat er an allen Zweigen der
Arbeiterbewegung teilgenommen. Und nicht nur in der
Gewerkschaft, auch in der Partei ward nie ein wichtiger
Beschluß gefaßt, ehe nicht sein Rat gehört wurde. Denn
jeder wußte: Wollt ihr es ganz genau wissen, wie
die Massen, die in den Betrieben fronen, fühlen und
denken, dann fragt nur ihn! Denn er fühlt und denkt
selbst so wie die Massen. Die Saiten seiner Seele
schwingen untrüglich mit der Massenseele. ...
Und doch: die ganze Kraft dieses Mannes, der
so immer der Proletarier geblieben war, sie entfaltete
sich dann am höchsten, wenn es galt, Proletarier, die
Not und Elend, Zorn und Verzweiflung zur Unbesonnnenheit,
auf gefährlichen Irrweg zu verlocken
drohten, zu nüchterner, vernünftiger Erwägung zurückzuführen.
Denn er hat sich es nie leicht gemacht. Nicht
nur in dem Sinne nicht leicht, daß er immer rastlos,
unermüdlich für seine Kollegen arbeitete, sich kaum
einen Sonntag, kaum einen Urlaub gönnend. Sondern
vor allem in dem Sinne nicht leicht, daß es ihn
immer dorthin geradezu zog, wo es am schwersten
war. Popularitätshascherei war seine Sache nicht.
Galt es, irgendwo irrenden Proletariern mutig entgegenzutreten,
um sie vor verhängnisvollem Fehltritt
zu bewahren, er war dazu immer bereit, er drängte
sich geradezu zu dieser schwersten Aufgabe. Da hat
bürgerliche Ahnungslosigkeit das Kindermärchen ersonnen,
in der Sturmzeit von 1918 und 1919 habe die Tüchtigkeit
der Wiener Polizei Wien vor dem Bolschewismus
bewahrt. Die Ahnungslosen! Damals, als die Kriegsindustrie
mit einem Schlage zum Stillstand kam, als
die Kohlennot die Fabriken stillegte, als Hunger und
Kälte als furchtbarste Versucherinnen die wild erregten
Massen zu Versuchen lockten, die, zu wildem
Chaos, zu blutigem Bürgerkrieg führend, unter den
Bajonetten fremder Besatzungsarmeen unsere Freiheit
begraben hätten, damals muß man Wiedenhofer
gesehen haben! Damals stand er in der allerersten
Reihe, auf dem allerschwersten Kampfplatz derer,
denen es gelungen ist, den wilden Strom revolutionärer
Energie nicht verheerend über die
Dämme treten zu lassen, sondern diese
Energie aufzufangen und fruchtbar wirksam
zu machen in der Schaffung der Republik, in
der Festigung der Demokratie, in der Begründung
unserer sozialen Gesetzgebung. Wüßte diese Republik,
wem sie ihr Dasein, wem sie ihre Institutionen, wem
sie ihre Rettung vor blutigem Chaos und Fremdherrschaft
verdankt, sie müßte Männern wie
Hanusch und Wiedenhofer Denkmäler auf den schönsten
Plätzen ihrer Hauptstadt stellen ...
Sie wird es nicht tun. Aber Wiedenhofer bleibt
ein anderes, schöneres Denkmal. Ein Denkmal in der
Liebe all derer, die ihn gekannt, die mit ihm gearbeitet,
die Schultur an Schulter mit ihm gekämpft
haben. Denn diesen Mann voll Kraft und Tapferkeit
und Tatkraft, der zugleich doch ein so reiner, so uneigennütziger,
so gütiger Mensch war, wir alle haben
ihn geliebt. Wir alle haben in ihm die Verkörperung
des Wiener Metallarbeiters, der besten Seiten des
Wiener Metallarbeiters geliebt. Uns allen bleibt,
solange wir leben, unvergeßlich die Erinnerung an
diesen schlichten, tapferen, treuen Kampfgenossen, an
diesen guten Kameraden. Ueber seine Bahre tönt uns
allen, ergreifender denn je, das alte Lied:
Ich hat' einen Kameraden,
Einen bessern find'st du nit...
Der Lebenslauf Josef Wiedenhofers.
Wiedenhofer war ein echtes Wiener Kind. In der
ehemaligen Stiftgasse in
Hernals, in der heutigen Geblergasse,
betrieben seine Eltern ein kleines Greislergeschäft.
Die kleine Wohnung, der kleine Laden und die alte
Hernalser Gasse waren seine Welt. Nur während der
Ferienzeit mag er seine Spaziergänge bis an die Grenze
des Bezirkes ausgedehnt haben, bis hin zu den
Drascheschen Ziegelwerken, auf deren Gründen sich
heute der Lehrersportplatz befindet, oder manchmal
auch weiter hinaus hinauf in die Weinrieden
des Alseggs, oder dem Zuge der
Hernalser Hauptstraße folgend, hinaus nach
Dornbach
und
Neuwaldegg. Die Draschegründe, heute so ziemlich
in der Mitte des Bezirkes, waren damals an seinem
äußersten Rande. An diese Jugendzeit mag sich Wiedenhofer
im vorigen Jahre zurückerinnert haben, als er am
Fronleichnamstag Tausende von Hernalser Buben
und Mädeln auf dem Lehrersportplatz aufmarschieren sah,
als er einige Stunden lang ihrem frohen Spiel und der
edlen Turnerei zusah, die die Kinder trieben, um den
Eltern zu zeigen, was sie das Jahr über in der Gemeinschaft
der Schul- und Kinderfreunde gelernt hatten.
Lachenden Herzens, lachenden Auges und lachenden
Mundes stand der herkulische Mann mit den anderen
Vertrauensmännern des Bezirkes am Rande des Festplatzes
und immer wieder flossen Worte des Lobes und
der inneren Freude über die prächtige Entwicklung der
gutgeführten Hernalser Jugend von seinem Munde.
Schade, daß die Wortführer der Arbeiterklasse so selten
Zeit finden, von ihrer Jugend zu reden, daß sie der Alltag
mit seinen Sorgen so gefangennimmt, daß sie kaum je
zurückschauen können. So wissen wir, seine überlebenden
Freunde, heute auch gar nichts über seine Jugend zu
sagen. Wir können nur vermuten, daß er ein gesunder,
prächtiger
Hernalser Bub war, so wie tausend andere,
und wir können nur schließen, daß er die anderen körperlich
und sicherlich auch geistig schon damals etwas überragt
hat. Aber nur seine engsten Freunde wußten, wohin
der Greislerbub in die Lehre gekommen war, zur Firma
Plewa in
Hernals, wo er die Dreherei erlernt hat, das
war von 1887 bis 1890. Vom November 1890 an, bis zu
einem Tag vor seinem achtzehnten Geburtstag, bis zum
18. März 1891, war er als Dreher bei der
Hernalser
Firma Brauner u. Klasek beschäftigt.
Einen Monat später arbeitet er auf der
Landstraße
bei L. Kaisers Söhne, bleibt dort anderthalb Jahre und
tritt dann unmittelbar in die Firina Adolf Worliczek
als Dreher über, wo er zwei Jahre arbeitet, eine Woche
bis vor seiner Einrückung zum Militär. Aber schon ehe er
von Kaiser zu Worliczek übertrat, am 7. Mai 1892,
wurde der Einundzwanzigjährige Mitglied der
Organisation der Metallarbeiter. Diese hatte
damals noch schwere Zeiten durchzumachen. Von 1883
bis 1889 war über Wien der Ausnahmezustand
verhängt worden. Erst nach seiner Aufhebung war es
wieder möglich, Organisationen zu bilden. Sofort war
Wiedenhofer beim Apollo und beim politischen Verein
Freiheit. Aber die Arbeiter gewannen nur langsam
Vertrauen zu der Sache; nur langsam schöpften sie Mut
und so kam es, daß die Metallarbeiterorganisation
damals, als ihr der junge Wiedenhofer beitrat, nur
sechstausend Mitglieder zählte. Es gab damals
noch keinen Verband. In Wien wirkte der Niederösterreichische
Verein der Metallarbeiter. Diesem war Wiedenhofer
beigetreten und diesem blieb er treu, bis er im
Herbst 1894 zu den Feldjägern einrücken mußte. Der
aufgeweckte junge Mensch hatte bald erkannt, wie wichtig
es ist, daß der Arbeiter nicht allein marschiere, daß er
sich mit seinen Kameraden zusammenfinden müsse, und
es hat bei ihm nicht viel Zuredens bedurft. Im Gegenteil.
Der Neuling in der Organisation wurde bald zu
einem Werber, bald zu einem, der die zaghaften
Kameraden in der Werkstätte mit sich riß, der der
Organisation immer neue Mitglieder zuführte. Seine
Militärdienstzeit machte dieser Werbetätigkeit ein Ende.
Aber sie konnte nichts an seinem geistigen Verhältnis
zur Arbeiterorganisation ändern. Von den Feldjägern
wurde Wiedenhofer, dessen besondere Fähigkeiten auch
in der Kaserne rasch erkannt wurden, zu den Pionieren
übersetzt, die in der alten k. u. k. Monarchie und mit
Recht als die Intelligenztruppe geschätzt wurden, und ein
Pionier blieb Wiedenhofer sein Leben lang.
Kaum vom Militär zurück, findet er in
Ottakring
Arbeit bei Greger, wo er von 1896 bis 1898 arbeitet,
dann in
Hietzing bei Tanner und Lätsch, wo er etwa
ein halbes Jahr tätig ist, um dann in der nächsten
Woche in den Siemens-Schuckert-Werken in
Floridsdorf
seine Arbeit aufzunehmen. Ueberall, wo er ist, weiß er
sich sofort das Vertrauen seiner Kameraden zu erwerben.
Die machen ihn zu ihrem Wortführer im Betrieb, zu
ihrem Wortführer in der Organisation. Und als
im Jahre 1907 der Metallarbeiterverband eine neue
Kraft brauchte, da fiel die Wahl auf Josef Wiedenhofer,
der durch sein schneidiges und entschlossenes Auftreten
gegen die Widersacher so recht zum Anwalt der Arbeiter
taugte. Mehr als acht Jahre stand er in den Siemens-Schukert-Werken,
in demselben Betrieb, in dem heute
sein zweiundzwanzigjähriger Sohn als Mechaniker tätig
ist. Und während dieser acht Jahre war er nicht nur
Wortführer im Betrieb, sondern auch schon eifriger
Werber überall draußen, wohin man ihn stellte. Und
auch darauf war Josef Wiedenhofer bedacht, daß er das
geringe Wissen, das der Arbeiter mit auf den Lebensweg
bekommt, beizeiten vermehre. Als im Jahre 1911
in Klagenfurt eine Parteischule abgehalten wurde,
da gehörte der junge, hoffnungsvolle Sekretär des
Metallarbeiterverbandes Josef Wiedenhofer mit zu den
eifrigsten Schülern. Und was er dort gelernt und was
sein klarer gesunder Menschenverstand ihn da und dort
erhaschen und verarbeiten ließ, das nützte er die ganzen
Jahre hindurch in unermüdlichen Fleiß für seine
Kollegen, für deren Leiden und Beschwerden er immer
tiefstes Verständnis auch darum hatte, weil er ja alle diese
Arbeiterleiden am eigenen Leibe miterlebt hatte. Sein
Fleiß, seine Energie, sein Pflichtbewußtsein, sie erlahmten
nie. Er kam nie zu sich selbst, nicht einmal recht ein paar
Ferientage konnte er sich gönnen, selten blieben ihm
Sonn- und Feiertage, immer wieder rief die Pflicht, die
ganze Woche über und ebenso am Sonntag. Niemals
Rast, niemals Erholung, keinen Urlaub, keinen Sonntag!
Aber Wiedenhofer war ein Mann voll Riesengestalt,
der konnte schon gegen seinen Körper sündigen, strahlende
Jugendfrische bis vor einem Jahre, wo es niemand
glauben wollte, daß er schon den Fünfziger erreicht habe.
Und mit ihm tragend dieses Los der persönlichen Entsagung
seine Frau Magdalena, die nun doppelt und
zehnfach schmerzlich getroffen ist durch den unvermittelt
raschen Zusammenbruch dieses starken Menschen, von dem
man glauben konnte, daß er den schwersten Stürmen
des Lebens werde trotzen können. Er selbst hatte das von
sich gedacht, sonst hatte er dem etwa vor einem Jahre beginnenden
Verfall, der sich in Abmagerung zeigte,
früher Aufmerksamkeit zugewendet. Er hätte früher
ärztlichen Rat eingeholt, Nicht erst, da ihn schon eine
Blutvergiftung auf das Krankenlager geworfen hatte.
Er schlug die Bitten seiner Freunde, ärztlichen Rat einzuholen,
in den Wind und diese selbst glaubten, da er
ihnen immer wieder versicherte, daß er keine besonderen
Beschwerden fühle, schließlich nur um eine vorübergehende
Unpäßlichkeit und nicht an einen Verfall. Der starke,
energische, niemals, arbeitsmüde Wiedenhofer der
Vorkriegsjähre und Kriegsjahre stand nur zu lebendig
vor ihnen.
Was hatte er während dieser Kriegszeit alles zu
leisten! Neben Domes und Drexler und später
neben Viktor Stein wirkte er hervorragend, nicht nur
für die Metallarbeiter, sondern mittelbar durch sie für
die ganze österreichische Gewerkschaftsbewegung. Die
Arbeiter standen dank dem verruchten Kriegsleistungsgesetz
unter Militärdiktatur. Dieser
widersetzte sich der Wortführer Wiedenhofer mit ganzer
Kraft. Vorwiegend waren es ja Metallarbeiterbetriebe,
für die das Kriegsleistungsgesetz wirksam wurde. Aus
dieser Tätigkeit entwickelten sich dann die Beschwerdekommissionen,
in denen Wiedenhofer als einer der entschlossensten
für die Rechte der Arbeiter wirkte. Die Vergewaltigungen
waren auf der Tagesordnung. Immer
und immer wieder hatte er mit den anderen Vertrauensmännern
der Metallarbeiter im Kriegsministerium
gegen diese Gewalttätigkeiten Stellung zu nehmen, hatte
er die Arbeiter zu schützen. Die Militärdiktatur wollte
aus den Arbeitern höchste Leistungen herausholen und
sie war dabei kurzsichtig genug, diesen gequälten Arbeitern
nicht einmal genug Brot zu geben. Hier setzte
der warmherzige Mensch Wiedenhofer ein. Er verlangte
mit den anderen die Lebensmittelversorgung
der kriegsdienstleistenden Arbeiter.
Daraus entwickelte sich der Lebensmittelverband der
Kriegsleistungsbetriebe, in dem Wiedenhofer bis zu
dessen Auflösung, im Jahre 1920 eine stark mitbestimmende
Stelle inneharte. Aus dieser Tätigkeit erfloß
auch natürlich seine Anteilnahme an der Genossenschaftsbewegung,
der er seit 1918 angehörte. Sowohl in
der Konsumgenossenschaft Wien als auch in der Großeinkaufsgesellschaft
war er im Aufsichtsrat tätig und
als Vertreter dieser auch im Aufsichtsrat der Kleider-Union.
In den Sturm- und Drangzeiten der Kriegsjahre
und der Revolutionstage reifte Wiedenhofer auch zum
politischen Vertrauensmann heran. Schon in die erste
Konstituierende Nationalversammlung wurde Wiedenhofer
am 16. Februar 1919 von dem Wahlkreis
Wien-West gewählt, zu dem auch sein Geburts-
und Stammbezirk
Hernals gehörte. Seither ist er Mitglied
des österreichischen
Parlaments. Wie sich die
Metallarbeiterorganisation von dem niederösterreichischen
Verein mit 6000 Mitglieder zu der mächtigen Organisation
von 150.000 Mitglieder fortentwickelte, so stieg
auch Wiedenhofer mit den Aufgaben, die ihm geworden
sind, höher und höher in der Verantwortlichkeit, mit der
er belastet wurde. Am 19. Juli 1919 wählte ihn die
Ortsgruppe Wien des Oestsrreichischsn Metallarbeiterverbandes
zu ihrem Obmann, im Juli des heurigen
Jahres wählte ihn der Verbandstag zum ersten Obmannstellvertreter
des Oesterreichischen Metallarbeiterverbandes.
Im Februar 1921 wurde er durch dis Wahlen
zur Arbeiterkammer in den Vorstand der Wiener
Arbeiterkammer entsendet. Dort gehörte er auch einzelnen
Ausschüssen an, und nach dem Tode des Genossen
Hanusch wurde er zum Obmann der Sektion der Arbeiter
gewählt. Zn allen diesen vielen Aemtern, im
Metallarbeiterverband, in der Gewerkschaftskommission,
in der Arbeiterkammer, in den Genossenschaften und im
Nationalrat erfüllte Wiedenhofer restlos und ohne Rast
seine Pflicht bis zum 14. Oktober, an welchem Tage sich
die Blutvergiftung, die damals schon in seinem Körper
steckte, dadurch äußerte, daß sein linker Vorderarm
schmerzhaft und steif war. An diesem Tage schickte ihn
der Arzt ins Bett. Er verließ sein häusliches Krankenbett
nur zu dem Zwecke, um es mit einem Bette im
Krankenhaus der Stadt Wien zu vertauschen. Jetzt erst,
da sich Wiedenhofer endlich Zeit nahm, krank zu sein,
erkannten die Aerzte den ganzen Ernst der Lage. Er war
schwer zuckerkrank - was er nie gewußt hatte, weil er
nie ärztlichen Rat eingeholt hatte - und aus unbekannter
Ursache hatte er eine Blutvergiftung. Der
Zuckerkrankheit wurden die Aerzte Herr, aber die Blutvergiftung
war schon so weit vorgeschritten, daß auch die
kräftige Konstitution dieses einst so starken Menschen ihr
nicht mehr Halt gebieten konnte. Am Morgen des 4. d.
um 1/2 7 Uhr erlöste ihn der Tod von seinen Leiden.
Mit seiner fassungslosen Witwe und seinem Sohne
stehen Tausende und Tausende von Proletariern an der
Bahre dieses treuen Menschen, leidenden Mitbruders und
voranmarschierenden Mitstreiters.
Trauerfeier in der Arbeiterkammer.
Heute Mittwoch findet um 10 Uhr vormittags im
Sitzungsaal der Kammer für Arbeiter und Angestellte
(Ebendorferstraße Nr. 7) eine Trauersitzung statt, die vom
Oesterreichischen Metallarbeiterverband, vom Parteivorstand der
Sozialdemokiatie Deutschösterreichs, vom Verband der sozialdemokratischen
Abgeordneten und Bundesräte, von der
Kammer für Arbeiter und Angestellte, von der Gewerkschaftskommission,
von der Konsumgenossenschaft Wien und von der
Großeinkaufsgesellschaft der Konsumvereine veranstaltet wird.
Das Begräbnis.
Der Leichnam Josef Wiedenhofers wird am
Samstag im Krematorium eingeäschert. Das Leichenbegängnis
findet um 2 Uhr nachmittags vom
Arbeiterheim Ottakring
aus statt. Dort wird der Leichnam am
Freitag aufgebahrt sein.
Sitzungen.
Donnerstag um 6 Uhr abends findet im Verbandshaus
eine gemeinsame Sitzung des Zentralvorstandes
der Metallarbeiter und des Vorstandes der
Ortsgruppe Wien statt; es wird um bestimmtes und
pünktliches Erscheinen ersucht.
Heute Mittwoch um 5 Uhr abends findet im
Arbeiterheim, Eichenstraße Nr. 50,52, eine erweiterte Aktionskomiteesitzung
der Betriebsratsobmänner der
Metallarbeiter
Meidlings statt. Zu der
Sitzung sind geladen alle Obmänner sowie Hauptvertrauensmänner
und Unionskomiteemitglieder. Im Verhinderungsfall
der Obmänner muß ein Stellvertreter
entsendet werden.
Weiters im Grab bestattet:
Josef Wiedenhofer, * 17.04.1904, † 29.05.1963, Bestattungsdatum: 07.06.1963
Magdalena Wiedenhofer (Ehefrau), Bestattungsdatum: 07.11.1936
Die Grabstelle (auf Friedhofsdauer) befindet sich am
Ottakringer Friedhof (Gruppe: 2, Nummer: 12).
Quelle: Text: www.nikles.net, Bilder: www.nikles.net, Der Abend vom 4.11.1924, Seite 2, Arbeiter Zeitung vom 5.11.1924, Seite 1 und 2.