Der Jüdische Friedhof Währing (auch: Israelitischer Friedhof Währing) war nach seiner Eröffnung im Jahr 1784 die Hauptbegräbnisstätte der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Neben dem Sankt Marxer Friedhof ist er der letzte erhaltene Friedhof Wiens im Stil des Biedermeier. Nach seiner Schließung in den 1880er-Jahren und der teilweisen Zerstörung während der NS-Zeit ist der jüdische Friedhof heute aufgrund des zunehmenden Verfalls nur noch eingeschränkt begehbar. Über die Sanierung des Friedhofes findet seit dem Jahr 2006 eine Debatte zwischen Politikern von Bundes- und Landesebene sowie Experten statt.
Lage: Ursprünglich gehörte das Gebiet des Friedhofes zum Wiener Vorort Währing. Nach Gebietsverschiebungen liegt der Friedhof heute trotz seines Namens nicht im 18. Wiener Gemeindebezirk Währing, sondern jenseits der Bezirksgrenze im 19. Bezirk Döbling. Der Eingang befindet sich in der Schrottenbachgasse 3.
Geschichte: Aufgrund der Sanitätsordnung Josephs
II. mussten alle Friedhöfe Wiens innerhalb des Linienwalls
geschlossen werden. Anstelle der alten Ortsfriedhöfe, die
sich oftmals um die Pfarrkirchen angesiedelt hatten, wurden
neue Friedhöfe außerhalb der Linie angelegt. Von dieser
Maßnahme war auch die jüdische Gemeinde betroffen, die in
der Seegasse (Rossau)
einen Friedhof unterhielt. Dieser Jüdische Friedhof Roßau
wurde ebenfalls geschlossen. Deshalb erwarb die jüdische
Gemeinde 1784 ein zwei Hektar großes Grundstück neben dem
neu errichteten
Allgemeinen Währinger Friedhof und eröffnete dort noch
im selben Jahr den durch eine Mauer abgetrennten neuen
jüdischen Friedhof. Bestand der Friedhof ursprünglich nur
aus dem westlich vom Eingang gelegenen Teil, so wurde der
Friedhof zweimalig durch den Zukauf von Grundstücken nach
Osten erweitert. Bis zur Fertigstellung der israelitischen
Abteilung am Wiener
Zentralfriedhof 1879 wurden hier etwa 8.000 bis 9.000
belegte Grabstellen angelegt. Insgesamt dürften am Währinger
Friedhof rund 30.000 Menschen bestattet worden sein. Im
Gegensatz zum jüdischen Friedhof in der
Rossau, wo nur hebräische
Inschriften vorhanden sind, bestehen in
Währing Grabsteine in hebräischer
und deutscher Schrift. Einige letzte, vereinzelte
Bestattungen in den Familiengrüften wurden in den späten
1880er Jahren durchgeführt. Danach erfolgten keine
Bestattungen mehr auf dem Friedhof. Um 1900 wurde in der
Mitte des nicht mehr genutzten Friedhofes eine Lindenallee
angepflanzt. Dies ist ein Zeichen für die starke Liberalität
der damaligen jüdischen Gemeinde in Wien, da die an den
Priestergräbern gepflanzten Linden in den traditionellen
Vorstellungen eine Trennung dieser Gräber von den übrigen
umliegenden aufheben.
Der benachbarte
Allgemeine Währinger Friedhof wurde in den 1920er Jahren
aufgelöst und in den Währinger Park umgewandelt. Der
Jüdische Friedhof blieb hingegen aufgrund der jüdischen
Religionsgesetze bestehen. Während der NS-Zeit zerstörte man
jedoch einen bedeutenden Teil des Friedhofes. Etwa 1.500 bis
2.000 Gräber wurden durch Aushubarbeiten für einen nie
errichteten Löschwasserteich vernichtet. Die Kultusgemeinde
exhumierte zuvor die betroffenen Gräber so gut es ging und
schaffte die Gebeine in einem Kraftakt nach der Organisation
von Lastkraftwagen und Benzin zum
Zentralfriedhof,
wo die Gebeine in einem Massengrab beerdigt wurden. Das
Aushubmaterial für den Löschteich wurde für Bauarbeiten am
Urban-Loritz-Platz verwendet. Die sterblichen Überreste von
200 weiteren Personen brachten die Nationalsozialisten zu
„rassekundlichen“ Untersuchungen ins
Naturhistorische Museum Wien. Die Gebeine wurden später
ebenfalls am
Zentralfriedhof beerdigt. 1942 folgte die Enteignung des
gesamten Geländes bzw. musste die jüdische Gemeinde den
Friedhof an die Gemeinde Wien zwangsverkaufen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Friedhof der Israelitischen Kultusgemeinde zwar nach zähen Verhandlungen
zurückerstattet, im Gegenzug musste der zerstörte Teil aber an die Gemeinde Wien abgegeben werden. Die Gemeinde widmete
daraufhin das als Grünland günstig erworbene Grundstück in Bauland um und errichtete in der Folge darauf
den „Arthur Schnitzler-Hof“, einen Plattenbau aus den 1960er Jahren.
Gleichzeitig begann der rapide Verfall des Friedhofes, da sich die Kultusgemeinde den Erhalt nicht leisten konnte.
Auch nachdem sich die Republik Österreich 2001 im
„Washingtoner Abkommen“ verpflichtet hatte, Unterstützungen
für die Erhaltung und Restaurierung jüdischer Friedhöfe zu
leisten, wurden keine Schritte zur Erhaltung des Friedhofes
gesetzt. Die Zahlungen der Republik Österreich an die IKG
für die Instandhaltung von jüdischen Friedhöfen werden für
den Erhalt der beiden israelitischen Abteilungen auf dem
Wiener
Zentralfriedhof verwendet und es stehen für die
Erhaltung des Jüdischen Friedhofs Währing daher kaum Mittel
zur Verfügung. Auch nach der Ankündigung des Wiener
Restitutionsbeauftragten Kurt Scholz, eine parkähnliche
Benutzung des Geländes zu ermöglichen, erfolgte nur eine
Fällung morscher Bäume. Nach der Forderung der Wiener Grünen
nach einer Sanierung des Friedhofes schlug Ende Februar 2006
der damalige Finanzstadtrat Sepp Rieder (SPÖ) eine
Stiftungslösung vor, an der sich Bund, Stadt und private
Geldgeber beteiligen sollten. Bürgermeister Michael Häupl
forderte jedoch im Juni 2006 vielmehr den Bund auf, für die
Sanierung aufzukommen und sah einen allfälligen Beitrag der
Bundesländer höchstens als „freiwilligen Beitrag“ an.
Konkrete Maßnahmen unterblieben in der Folge. Da auch eine
weitere Sanierung des Baumbestandes unterblieb, wurden
weitere Grabsteine durch Windbruch (Orkan Kyrill) zerstört.
Die Israelische Kultusgemeinde schätzte Anfang 2007 den
Sanierungsaufwand auf vierzehn Millionen Euro und plante,
das Wärterhaus in ein Bethaus umzuwandeln. Im Jänner 2007
startete die Israelitische Kultusgemeinde mit dem Institut
Educult eine Initiative, die zur Rettung des Areals die
Herausgabe eines Buches und eines Fotokalenders sowie eine
Ausstellung vorsieht. Zusätzlich werden die bis dahin
unregelmäßigen Führungen durch den Friedhof nun monatlich
angeboten. Am 2. März 2007 stimmten SPÖ und ÖVP schließlich
einem Antrag der Grünen im Gemeinderat zu, die ärgsten
Schäden und Gefahren auf dem Friedhof durch die Stadt Wien (Stadtgartenamt)
beseitigen zu lassen. Um das Areal langfristig sanieren und
erhalten zu können, setzt die Gemeinde Wien jedoch stark auf
eine Beteiligung des Bundes. Nationalratspräsidentin Barbara
Prammer plant mit einer Arbeitsgruppe aus Vertretern von
Bund, Ländern und Gemeinden die Erarbeitung einer
gesamtösterreichischen Lösung. Das Bezirksmuseum Währing
veranstaltete eine Sonderausstellung in Kooperation mit dem
Jüdischen Friedhof in Hamburg-Altona von November 2008 bis
Jänner 2009.
Friedhofseinteilung: Betritt man den Friedhof durch das Eingangstor in der Schrottenbachgasse, so befindet sich links vom Eingang direkt an der Straße die ehemalige Verabschiedungshalle (Taharahaus). Dabei handelt es sich um einen spätklassizistischen Bau von Joseph Kornhäusel. Der Bau ist heute straßenseitig zugemauert, in seiner Grundsubstanz jedoch gut erhalten. Links vom Eingang gesehen befindet sich der alte, ursprüngliche Teil des Friedhofes, der vom später hinzugekauften Teil durch eine Lindenallee getrennt ist. Auf dem älteren Teil des Friedhofes befinden sich die Gräber historisch relevanter Personen wie Fanny von Arnstein und der Familie Epstein. Im nördlichen Bereich des Friedhofes liegt auf beiden Seiten der Hauptallee die sephardische Abteilung. Entlang der Hauptallee selbst befinden sich die Priestergräber (Kohanim). Im neueren Friedhofsteil wurden vor allem Menschen aus ärmeren Schichten begraben, deren Grabsteine aufgrund billigerer Materialien viel stärker von der Verwitterung betroffen sind. Hier befindet sich auch eine Abteilung, in der Kleinkinder sowie Mütter, die im Kindbett gestorben waren, beerdigt wurden. Die Familiengrüfte der geadelten Juden sind hingegen entlang der Friedhofsmauer im nördlichen Friedhofsteil angeordnet.
Sephardische Abteilung: Im 18. Jahrhundert war es
Juden prinzipiell nicht erlaubt, sich in Wien
niederzulassen. Eine Ausnahme bildeten die sephardischen
Juden aus dem Osmanischen Reich, denen der Aufenthalt als
osmanische Untertanen durch den Frieden von Passarowitz
gestattet war. Wien wurde durch die Sephardim zu einem
wichtigen Zentrum des Orienthandels zwischen dem Osmanischen
Reich und sephardischen Gemeinden in Amsterdam, Hamburg oder
Kopenhagen. Der Bezug der sephardischen Juden zum
Osmanischen Reich spiegelt sich auch in den Grabmälern auf
dem Jüdischen Friedhof Währing wider. Neben der
orientalischen Architektur und Ornamentik der Grabstelen
nehmen insbesondere die Grabhäuschen einen für Mitteleuropa
einzigartigen Stellenwert ein.
Erhaltungszustand: Da fast sämtliche Verwandte der
Begrabenen entweder im Holocaust umgebracht wurden oder ins
Ausland emigrieren mussten, gibt es niemanden mehr, der sich
um die Gräber kümmern kann. Auch die Israelitische
Kultusgemeinde kann auf Grund ihres eingeschränkten Budgets
nur in geringem Ausmaß zur Erhaltung beitragen. Da von der
Stadt Wien und der Republik Österreich kaum bis keine Mittel
zur Erhaltung des Friedhofes zur Verfügung gestellt wurden,
ist der Friedhof in einem sehr schlechten Erhaltungszustand.
Auf Grund des überalterten Baumbestandes und teilweise offen
stehender Gruftanlagen ist ein Besuch des Friedhofes derzeit
nur nach Unterzeichnung eines Haftungsverzichts gegenüber
der Israelitischen Kultusgemeinde möglich. Die Kosten für
die Herstellung eines gefahrlosen Zuganges zur
Friedhofsanlage werden vom Präsidenten der Israelitischen
Kultusgemeinde Ariel Muzicant und dem
Restitutionsbeauftragten Scholz mit 400.000 bis 800.000 Euro
beziffert. Bis auf einen Baumschnitt an den alten Bäumen
sind in den letzten Jahren kaum Erhaltungsmaßnahmen gesetzt
worden. Teile des Friedhofes sind aufgrund des starken
Bewuchses mit Büschen und kleinen Bäumen nicht mehr
zugänglich. Zudem führt der Wurzeltrieb dazu, dass
Grabsteine verschoben werden und umstürzen. Morsche,
herabfallende Äste und umstürzende Bäume zerstören immer
wieder weitere Grabsteine. Auch durch Umwelteinflüsse wie
sauren Regen, Frost und Bewuchs sind an den Grabmälern des
Friedhofes schwere Schäden entstanden. Grabsteine wurden
zudem durch rechtsradikale Beschmierungen beschädigt, die
insbesondere Sandsteinoberflächen zerstörten. Aus diesem
Grund wurden die Umfassungsmauern des Friedhofes von der
Kultusgemeinde mit Stacheldraht und einbetonierten Glasscherben gesichert.
Quelle: Text: Wikipedia, Bilder: Michael Kranewitter, Gryffindor und Judaist (siehe jeweiliges Bild).
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Günter Nikles
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